Der Glaspavillon
fast allen Tischen saßen Männer in dicken Arbeitsjacken, die Luft war verraucht und dampfig. Unauffällig schielte ich auf die Titelseite der Sun, die der Mann mir gegenüber las. Ob heute etwas über Alans Fiasko in den Tageszeitungen stand?
Etwa zwanzig nach acht war ich wieder draußen und marschierte den Bürgersteig auf und ab, um mich einigermaßen warm zu halten. Zehn Minuten später entdeckte ich ihn, auf dem Fahrrad. Trotz des weiten Mantels, der dicken Handschuhe und des Helms war Lukes schmales Gesicht unverkennbar. Als er sich dem Tor näherte, schwang er das rechte Bein flott über den Sattel und legte die letzten Meter auf dem linken Pedal stehend zurück, schlängelte sich elegant zwischen den Schülergruppen hindurch, und als ich seinen Namen rief, drehte er sofort den Kopf nach mir um. Anscheinend war er nicht überrascht; er grinste nur spöttisch. Dann nahm er den Helm ab und fuhr sich mit der behandschuhten Hand durch die langen Haare, die, wie ich jetzt sehen konnte, von grauen Strähnen durchzogen waren.
»Hast du heute nichts zu tun?«
Während der Fahrt waren mir alle möglichen Dinge durch den Kopf geschwirrt, die ich unbedingt von Luke wissen wollte. Jetzt, da ich vor ihm stand, fiel mir plötzlich keine vernünftige Frage mehr ein.
»Können wir uns unterhalten?«
»Was machst du denn hier? Was willst du?«
»Ich meine, können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«
An Lukes Schläfe trat eine Ader hervor, die sichtbar pochte. Er wurde knallrot, und ich dachte schon, er würde mich anschreien. Doch dann sehr er sich um, und ich merkte, wie er sich mühsam zusammenriß.
»Komm mit«, sagte er. »Fünf Minuten genehmige ich dir.«
Damit kettete Luke sein Rad an den Fahrradständer, und wir betraten das Gebäude durch eine schwere Schwingtür.
Mit schnellen Schritten gingen wir einen Schulkorridor hinunter, dessen graue Trostlosigkeit durch die Zeichnungen an den Wänden etwas gemildert wurde.
»Hast du heute schon Zeitung gelesen?« fragte er, ohne mich anzusehen.
»Nein.«
»Ich sollte Alan vor Gericht bringen, ehrlich.«
»Dabei könntest du aber auch den kürzeren ziehen.«
Ein zynisches Lachen war die einzige Antwort. Luke führte mich in ein Zimmer, das so klein war, daß wir uns im Sitzen fast berührten. Um uns herum Regale voller neuer Schulbücher.
»Also?« sagte Luke.
»Hast du der Polizei gesagt, was du weißt?«
Wieder lachte Luke nur, anscheinend erleichtert.
»Mehr nicht?« fragte er. »Du hast überhaupt nichts in der Hand, stimmt’s?«
»Ist das ein Ja oder ein Nein?«
»Die Polizei hat mich verhört, mein Name war in den Zeitungen. Mir liegt nicht besonders viel daran, mich mit dir darüber zu unterhalten. Also, ich weiß wirklich nicht, was du gern rausfinden willst, aber falls du für etwas Beweise suchst, was lediglich deiner kindischen Phantasievorstellung von Nat entspringt, dann vergiß es lieber.«
»Wenn das Baby nicht von dir war, von wem könnte es sonst gewesen sein?«
Luke schien mir nicht mal richtig zuzuhören.
»Ich habe dich immer gemocht, Jane. Die anderen, Nats Brüder, haben mich immer von oben herab behandelt. In meiner Naivität habe ich geglaubt, du wärst anders.«
»Ich hatte Angst vor dir«, erwiderte ich. »Du hast so einen erfahrenen Eindruck gemacht.«
»Ich war ja auch ein Jahr älter.«
»Luke, kannst du mir irgend etwas sagen, was mich davon überzeugen könnte, daß du es nicht warst?«
»Warum sollte ich?« Er sah auf seine Armbanduhr. »Die fünf Minuten sind vorbei. Hoffentlich habe ich dir nicht geholfen. Du findest es bestimmt selbst raus.«
Ich blieb ein paar Minuten im Wagen sitzen, dann fuhr ich langsam in Richtung Autobahn. Als ich unterwegs eine Telefonzelle entdeckte, machte ich halt, rief Helen Auster in Kirklow an und fragte, ob ich mich mit ihr treffen könnte, wenn möglich sofort. Zwar klang sie etwas überrascht, aber sie sagte zu. Während ich von Birmingham nach Westen fuhr, hellte sich der Himmel auf, und als ich Shropshire erreichte und über die Hügel tuckerte, hob sich auch meine Stimmung ein wenig. Das Polizeirevier von Kirklow befand sich in einem großen modernen Gebäude am Marktplatz. Helen wartete bereits am Empfang; sie hatte schon den Mantel übergezogen und schlug mir vor, ein Stück spazierenzugehen. So schlenderten wir zwischen den wunderschönen Steinhäusern herum und unterhielten uns. Allerdings war es sehr kalt, und ich wußte auf einmal nicht mehr genau, warum ich
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