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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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zu essen – Sachen, die Kinder mögen, wie klebrige Schokoladenkuchen, purpurroter Wackelpudding mit knallgelber Vanillesoße, Teller mit Spaghettibergen. Und sie malte ausgelassene Kinder: eine ganze Doppelseite mit pummeligen Kleinkindern, die in roten Gummistiefeln hintereinander hermarschierten, eine andere, auf der fröhliche Kindergesichter durch die Äste eines Baumes spähten. Bei dem Bild eines kleinen Mädchens mit einem Gänseblümchenkranz vor einem leuchtendorangenen Sonnenuntergang hielt ich inne. Selten hat Martha ein einzelnes Kind gezeichnet – meist waren sie immer in großen Gruppen dargestellt, eine Übermacht gegen die Erwachsenen.
    »Bevor wir Natalie gefunden haben, Martha, gab es da je einen Tag, an dem du nicht an sie gedacht hast?«
    Mir war klar, daß ich die falsche Frage gestellt hatte, und ich kannte auch die Antwort. Dennoch wußte ich, daß wir über Natalie reden mußten. Martha goß kochendes Wasser über die Teeblätter und holte eine große Kuchendose vom Regal.
    »Was glaubst du?«
    Sie stellte einen Ingwerkuchen auf den Tisch.
    »Lange Zeit hatte ich Schuldgefühle. Nicht nur weil sie weggelaufen oder umgekommen war – oder was auch immer. Natürlich auch deswegen, aber hauptsächlich wegen unserer Beziehung.«
    Ich wartete. Martha goß zwei Tassen Tee ein und setzte sich dann zu mir an den Tisch.
    »Meine letzte Erinnerung an Nathalie ist, daß sie mich anschreit.«
    Nachdenklich starrte sie eine Weile in ihre Teetasse, dann fuhr sie fort: »Nein, das ist nicht das, was ich sagen wollte. Meine letzte Erinnerung ist, daß ich sie anschreie.
    Natürlich hatten wir eine Menge belangloser Krache, zum Beispiel, wenn ich merkte, daß sie geraucht hatte oder so was. Dann lächelte sie mich mit diesem etwas distan-zierten Lächeln an, ihre typische Miene, wenn man ihr die Meinung sagte, und das machte mich immer schrecklich wütend. Mit solchen Streitereien muß man wohl als Eltern leben, aber nach dieser letzten Auseinandersetzung haben wir uns nicht mehr versöhnt. Manchmal frage ich mich, ob sie mich gehaßt hat, als sie gestorben ist.« Sie lächelte traurig. »Als Alan und ich nach dieser schrecklichen Kreuzfahrt zur Party kamen, wollte ich mit Natalie sprechen, aber es waren zu viele Leute da, so daß ich es wieder verschob. Und dann war es zu spät.«
    »Natürlich machst du dir Vorwürfe und hast Schuldgefühle, Martha«, meinte ich, »und natürlich solltest du genau das nicht tun.«
    Ich weiß noch, daß ich beim Tod meiner Mutter ganz ähnlich empfunden hatte. In den Wochen nach dem Begräbnis hatte ich entsetzlich unter dem Verlust gelitten, und mir waren lauter Situationen eingefallen, in denen ich meine Mutter kritisiert oder von oben herab behandelt hatte, in denen ich ihre Qualitäten nicht zu schätzen wußte, mich nicht genug bei ihr bedankt hatte. Auch das letzte klärende Gespräch, in dem wir uns mit all den Ecken und Kanten unserer Beziehung hätten versöhnen können, hatte ich nie geführt.
    »Du mußt das ganze Leben betrachten, Martha, nicht nur die letzten Wochen oder Tage«, sagte ich lahm.
    »Das tue ich auch. Aber dieser letzte Streit hat irgendwie alles auf den Punkt gebracht, was bei uns nicht stimmte.«
    Martha blickte mir fest in die Augen. »Ich habe das noch nie jemanden erzählt, Jane.«
    »Was hast du noch nie jemanden erzählt?«
    »Von diesem Streit mit Natalie.«
    Martha nahm das Messer und schnitt zwei Stück Kuchen ab. Bestimmt hatte sie ihn eigens für mich gebacken, als sie erfuhr, daß ich kommen würde.
    »Trink deinen Tee, er wird sonst kalt.«
    Gehorsam nippte ich an meiner Tasse.
    »Es ging um deinen Vater und mich, Jane. Um unsere Beziehung.«
    Ich nippte weiter, aber meine Hände fühlten sich plötzlich riesig und unbeholfen an. Vorsichtig stellte ich die Tasse auf den Tisch zurück, ganz langsam, damit ich nichts verschüttete.
    »Ach du meine Güte.«
    »Im Sommer vor Natalies Tod hatte ich eine kurze Affäre mit deinem Vater. Er und deine Mutter kamen nicht besonders gut miteinander aus, und du kennst ja Alan. Den ganzen Sommer über war er weg, in Amerika. Ich war einsam, die Kinder waren groß, und ich hatte das Gefühl, daß mir mein Leben durch die Finger glitt.«
    Sie hielt inne und machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Aber genug davon, ich will mich gar nicht dafür rechtfertigen. Ich bin alles andere als stolz darauf, und es hat auch nicht lang gedauert. Wir haben niemandem etwas davon erzählt. Christopher hat es

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