Der Glaspavillon
Fra Angelico. Zu streng. Aquarelle der British Mice. Zu affektiert. Die Schindung des Marsyas von Tizian. Meinen eigenen Empfindungen zu nah verwandt. Reverend Rober Walker beim Schlittschuhfahren auf Duddingston Loch. Das war vielleicht nicht schlecht. Ich drehte die Karte um und entfernte ein angetrocknetes Klebepad, eine Erinnerung daran, daß das Bild einmal an der Wand über meinem Schreibtisch gehangen hatte. »Lieber Caspar Holt.« Schon kam ich nicht mehr weiter und sah wieder zum Bildschirm, wo Caspar Holt jetzt etwas über Kinderer-ziehung murmelte und niedergebrüllt wurde. »Ich bin die Frau, die in der Kunstakademie so unhöflich zu Ihnen war.
Ich sitze vor dem Fernseher, während ich dies schreibe, und sehe mir an, wie vernünftig und mutig Sie auftreten.
Es tut mir leid, daß ich mich so danebenbenommen habe.
Zwar ist das alles etwas unzusammenhängend, aber Sie sagen Dinge, die ich gern selbst sagen möchte, die mir aber im richtigen Moment nie einfallen. Mit freundlichen Grüßen, Jane Martello.« In meiner Handtasche fand ich eine Briefmarke. Kurz entschlossen ging ich zum nächsten Briefkasten und warf die Karte ein. Ich brauchte ein bißchen frische Luft. Soweit ich es noch beurteilen konnte, fühlte sich die Abendkühle sehr wohltuend an.
17. KAPITEL
»Weißt du noch, wie ihr hier immer gespielt habt?«
Obgleich es bitterkalt war, hatte Martha darauf bestanden, daß wir zusammen eine Runde durch den Garten machten. Jetzt standen wir neben der riesigen Eiche, in deren dickem hohlem Stamm wir uns als Kinder so oft versteckt hatten. Ich strich mit der Hand über die moosbewachsene Rinde.
»Hier haben Claud und Theo und Paul ihre Initialen eingeritzt. Wir dachten, die Initialen würden mitwachsen, und jetzt sind sie schon fast verschwunden.«
Schweigend gingen wir weiter. Ich spürte, daß ich den Wegen meiner Kindheit folgte. Die Scheunen, die umgestürzten Baumstämme, der Kräutergarten, die flache Stelle, wo die Schaukel gehangen hatte, die kahlen Zweige und ausgedörrten Büsche. Der Wind drückte Marthas Jacke eng an ihren Körper, und mir fiel auf, wie dünn sie geworden war.
»Alles in Ordnung, Martha?«
Sie bückte sich, um ein Unkraut auszurupfen. »Ich habe Krebs, Jane.« Ich wollte etwas sagen, doch sie hob die Hand.
»Ich weiß es schon lange. Anfangs war es nur Brust-krebs, aber jetzt hat er sich ausgebreitet.«
Vorsichtig nahm ich ihre kalte Hand und streichelte sie.
Vom Hügel her blies der Wind über uns hinweg.
»Was meinen die Ärzte? Was unternehmen sie dagegen?«
»Nicht viel. Ich meine, sie sagen nicht viel, sie überlassen es mir, meine eigenen Schlüsse zu ziehen. Und ich werde keine Chemotherapie machen, ich werde mich nicht bestrahlen lassen oder sonstwas. Na ja, Schmerzmittel nehme ich natürlich schon.
Aber ich bin siebenundsechzig, Jane, kein schlechtes Alter, um Krebs zu kriegen: Er wächst sehr langsam.« Sie lachte leise.
»Wahrscheinlich sterbe ich mit dreiundneunzig an einem Herzinfarkt.« Etwas ernster fügte sie hinzu: »Jedenfalls hoffe ich das. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Alan allein zurechtkommt.«
»Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid, Martha. Ich wollte, ich könnte etwas tun.« Hand in Hand gingen wir zum Haus zurück.
»Martha, wünscht du dir manchmal, man hätte Natalie nicht gefunden?« fragte ich plötzlich.
Martha warf mir einen seltsamen Blick zu. »Es ist sinnlos, diese Frage zu stellen«, antwortete sie schließlich.
»Wir haben Natalie gefunden, und damit basta. Wenn du wissen willst, ob ich früher glücklicher war, dann lautet die Antwort ja. Selbstverständlich war ich glücklicher.
Manchmal war ich sogar richtig glücklich. Als Natalie gefunden wurde, mußte ich noch einmal zu trauern beginnen. Der ganze Kummer war plötzlich wieder wie neu.«
Sie öffnete die Hintertür. »Komm, ich koche dir einen Tee.«
»Nein, laß mich ihn machen«, widersprach ich.
»Ich bin noch nicht todkrank, Jane. Setz dich.«
Also nahm ich am Küchentisch Platz. Überall lagen Stapel von Kinderbüchern, die Martha im Lauf der Jahre illustriert hatte. Natürlich kannte ich die Bilder, schließlich waren meine Kinder mit ihnen aufgewachsen, aber sie beeindruckten mich wieder von neuem: lustige, vielfältige und farbenfrohe Zeichnungen. Martha zeichnete gern große Familien: energische Omas, gehetzt wirkende Eltern und Horden kleiner Kinder mit aufgeschürften Knien und zersausten Haaren. Auf ihren Illustrationen gab es eine Menge
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