Der Glaspavillon
wahrscheinlich am ehesten in Frage, auch wenn das Baby nicht von ihm war. Vielleicht hat er sie umgebracht, weil er wußte, daß er nicht der Vater war.«
»Vielleicht.«
»Wie auch immer, es ist jedenfalls nicht deine Pflicht, es herauszufinden.«
»Nein, natürlich nicht.«
»Du hast doch nicht womöglich jemand anderen in Verdacht? Liebe Jane, du solltest dich nicht lächerlich machen.«
Noch eine Weile lagen wir schweigend nebeneinander.
Ich hatte die Augen immer noch geschlossen; das einzige, was sich an mir noch stabil anfühlte, waren meine Finger, dort, wo sie sich um Kims Hand schlangen.
Später ließ ich mich massieren. Eine nach Zitronen duftende Frau, die Haare zu einem glatten Pferdeschwanz zurückgebunden, beugte sich über mich und machte sich mit kräftigen Fingern an all meinen schmerzenden Körperstellen zu schaffen. Mein letzter Rest Widerstand wurde auf natürlichen Bahnen aus meinem Körper geschoben. Tränen rannen mir übers Gesicht und bildeten kleine Lachen auf der Couch.
Ich holte mein Auto vom Parkplatz an der St. Martin’s Lane – Himmel, welcher Luxus! – und fuhr über die Charing Cross Road nach Norden. Ich stellte das Radio an.
Nein, keine Musik. Ich wollte mich nicht meinen Gedanken überlassen, also drückte ich den Knopf, bis ich einen Sender fand, auf dem jemand redete.
»Was von den Vertretern des verschlafenen Establish-ment, die immer noch unser Land beherrschen, außer acht gelassen wird, ist die Tatsache, daß das Wertvollste der Welt bald etwas sein wird, was man nicht in Händen halten kann: kein Öl, kein Gold, sondern Information.«
»Ach du Scheiße!« schrie ich laut, da mich im Innern meines Wagens niemand hörten konnte.
»Nun, die Auswirkungen sind unabsehbar, aber lassen Sie mich auf zwei Punkte besonders hinweisen. Erstens ist der Prozeß nicht umkehrbar, er entzieht sich jeder Kontrolle seitens nationaler Indikative oder Exekutive.
Zweitens wird jede Organisation, die aus dieser Informationswelt ausgeschlossen bleibt, absterben und in Vergessenheit geraten.«
»O verdammt!« schrie ich.
Eine betont heitere Discjockey-Stimme fragte, ob
»Theo« vielleicht ein Beispiel dafür geben könne.
»In Ordnung, nehmen wir eine der angesehensten Institutionen, die Polizei. Wenn man eine neue Organisation schaffen wollte, die die Arbeit der Polizei übernimmt, dann würde sie vollkommen anders aussehen. Heute haben wir die typische unrationelle, arbeitskraftintensive Struktur, die jedes Jahr mehr Geld frißt und dabei immer schlechtere Resultate erzielt. Das ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß die Rolle der Polizei auf einem Mythos basiert. Effiziente Polizeiarbeit basiert auf rationa-lem Management und der Beschaffung von Information.«
»Was ist mit dem einfachen Bobby auf Streife?«
»Allein die Erfindung ist doch schon ein Witz. Wenn wir möchten, daß Leute die Straße auf und ab marschieren, ohne etwas zu tun, holen wir uns doch lieber Pensionäre für ein Pfund pro Stunde. Das hat doch nichts mit Polizeiarbeit zu tun.«
»Hier müssen wir eine Pause machen. Wir sprechen mit Dr. Theo Martello über sein neues Buch The Communica-tion Cord. Sie hören Capital Radio.«
Ich war gerade in der Tottenham Court Road und merkte zu meiner Belustigung, daß ich gleich am Capital Tower vorbeifahren würde. Also überquerte ich die Euston Road, bog, einem plötzlichen Impuls folgend, rechts von der Hampstead Road ab und parkte neben dem Laden mit den Armee-Restbeständen. Eine Weile ließ ich das Radio laufen und hörte zu, wie Theo vom Niederreißen der Grenzen schwärmte, vom Zusammenbruch der Institutionen, vom Ende des Staates, der Wohlfahrt, der Einkom-menssteuer und so weiter. Schließlich war er fertig, und der Discjockey wies noch einmal auf das Buch hin. Ich stieg aus, überquerte die Straße und wartete ein paar Meter von der Drehtür entfernt.
Zuerst bemerkte Theo mich nicht. Er trug seine Geschäftskleidung, einen Anzug, dessen Revers so hoch und so scheußlich war, daß er sündhaft teuer gewesen sein mußte. Unter dem Arm trug er eine Aktentasche, etwa so groß und so dick wie eine Zeitschrift. Im Wintersonnen-schein schimmerte seine Kopfhaut durch die kurzge-schorenen Haare.
»Darf ich Ihnen die Tasche tragen, Mister?« fragte ich freundlich.
Erschrocken wandte er sich um.
»Was ist denn jetzt los?« fragte er. »Hat mich etwa die versteckte Kamera erwischt?«
»Nein, ich hab dich gerade im Radio gehört und plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher