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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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einen Augenblick verweilte ihr Fuß auf dem schwarzen Tretrost der Nähmaschine, dann warf sie mit leichter Hand das Schwungrad von neuem an, und wieder erbebte das Fenster von dem schweren Rattern.
    Noch lieber war mir die Kiste aus Ebenholz, die ihren Platz unter der Anrichte hatte. Sie war so schwer, dass ich sie nicht heben konnte, also schleifte ich sie über den Teppich, dass die Münzsammlung des Onkels klirrte. Ich drehte den Schlüssel im Schloss so lange nach rechts und nach links, bis sie aufging. Dann lachte ich vor Freude beim Anblick des Futters aus rot schimmernder Seide. Sie hatte mehrere Böden, die ich heraushob und zwischen den hohen Tischbeinen um mich herum auslegte. In den Fächern funkelten ein paar Ringe und der breite Ehering der Mutter, verbogene Armbänder, die ich mir bis zum Ellbogen hinaufschob, um sie dann durch Armschlenkern zum Klirren zu bringen, ein dünnes Goldkettchen, an dem ein geschliffener grüner Stein entlangglitt, und neben vielen vergilbten Fotografien eine Menge Münzen, die einen geschwärzt, die anderen klein und mit einem Loch in der Mitte, die meisten funkelnd wie neu, mit Köpfen von Männern, umrundet von unverständlichen Wörtern.
    Â»Was ist das denn?«, fragte ich und faltete das steife, an den Kanten abgestoßene und in schnörkeliger Schrift mit schwarzer Tusche beschriebene Blatt auseinander.
    Onkel Ion konnte es nicht sein, dieser dermaßen junge Mann auf dem Foto, das in einer Ecke klebte, obwohl er ihm ähnlich sah. Der kindlich volle Mund verzog sich zu einem leichtgläubigen Lächeln, das ich nicht kannte, und die eine Hälfte des Gesichts war von den roten Buchstaben eines Stempels unkenntlich gemacht.
    Â»Das ist sein Diplom zum Abschlussexamen, das er mit Bestnoten, lauter weißen Belobigungssternchen, bestanden hat, als einziger des gesamten Jahrgangs …«
    Verwundert blickte ich auf. Mutters Stimme klang nach Zurechtweisung.
    Â»Er hatte seine Prüfungen etliche Monate vor den anderen abgelegt, um in Lohn und Brot zu kommen, damals kam er für Biţăs und meinen Lebensunterhalt auf und war dauernd zu Privatstunden in der Stadt unterwegs … Deshalb hat er auch gleich die erste Stelle genommen, die ihm angeboten wurde, und ist von der Hochschule abgegangen … Sein Pech, denn am Ende des Studienjahres hat sich ein Auslandsstipendium ergeben. Die von der Fakultät haben ihn vorgeschlagen und haben ihn monatelang gesucht, aber wer wusste schon, in welcher Ecke des Landes er war … Im Herbst haben sie dann einen anderen geschickt, der ist jetzt am Lehrstuhl … Sein ganzes Leben wäre vielleicht ein anderes, wenn er damals …«
    Â»Und wo sind diese weißen Sternchen?«, fragte ich und wühlte in den vergilbten Fotos.
    Diese wirre Geschichte interessierte mich nicht, ich verstand sie auch nicht. Schau an, was diese Herren, die da eine Straße entlanglaufen, die ich nicht kenne, was die für komische Hosen anhaben, sie sind im Gehen mit einem Bein in der Luft wie erstarrt, hinter ihnen sitzt der Kutscher auf seinem Bock, starr auch er, die Peitsche in der Hand. In einem dunklen Klassenzimmer mit großen, kahlgeschorenen Schülern Onkel Ion, ich sehe nur seine scheuen Augen, man kann kaum einen Altersunterschied zwischen ihm und den um ihn gescharten Jungen erkennen. Das andere Foto habe ich schon oft gesehen, auf dem weitläufigen Balkon eines sehr weißen Hauses steht Mutter, ihr langes schwarzes Haar ist über der Stirn in einer Rolle gefasst, in den Armen hält sie in einem spitzenbesetzten Steckkissen ein kahlköpfiges dickes Kind, von dem ich weiß, dass ich es bin, so wie ich weiß, dass der Mann mit langgezogenem Gesicht und schmalen Lippen neben ihr mein Vater ist.
    Â»Wonach wühlst du denn da?«, rief plötzlich Mutter. Sie hielt inne und sah mich an, als sähe sie mich überhaupt erst jetzt.
    Â»Nach den Sternchen«, sagte ich und blickte erstaunt auf. »Ich finde die Sternchen zu dem Papier von Onkel Ion nicht – ich möchte mit ihnen spielen.«
    Â»Was denn für Sternchen? Ach so, da gibt’s keine Sternchen, man sagte damals halt so, es gab auch rote Sternchen.«
    Â»Es gab auch rote Sternchen, aber es gibt sie nicht …«, murmelte ich und warf die Fotos wütend durcheinander.
    Mutter wurde böse. »Dir kann man aber auch nichts überlassen, schau

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