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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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allerdings nicht besonders viel, selbst ihre Stimme klang anders. Später sollte ich dann begreifen, wieso, als mir der Becher einfiel, in den sie sehr weiß glänzende Zähne legte, um ihn dann im Nachtschränkchen verschwinden zu lassen.
    *
    Eines Tages, als ich aus der Schule kam, sah ich die Nachbarin am Zaun. Durch das offene Fenster kam Mutters Stimme, die irgendwas rief. Die Nachbarin rief zurück: »Zünden Sie die Kerze an, Frau Branea. Zünden Sie sie an, sonst geht sie verloren …« Dann stürzte sie ins Haus und kam gleich darauf mit ein paar dünnen Kerzen zurück, die stellenweise gebrochen waren, so dass man den Docht sah. Im Vorzimmer stand der alte Besitzer, der Vater von Cornelia, mit einem Spaten in der Hand.
    Â»Ich war grad im Garten am Umgraben«, sagte er, wohl nur zu mir, denn sonst hörte ihm niemand zu. Er traute sich nicht weiter hinein, seine Schuhe waren verdreckt, aber er ging auch nicht weg, sondern blieb auf der Schwelle stehen, und wenn jemand eintrat, schlug er mit der Tür gegen seine Schulter.
    Â»Bringt das Kind weg!«, schrie Mutter, als sie mich bemerkte. Ihre Augen waren gerötet und ihr Gesicht angespannt wie dann, wenn sie sagte, sie habe viel zu tun und komme damit nicht mehr zurande. Ich war ein wenig erschrocken, aber der Vater von Cornelia brachte mich in ihren Hof. Den ganzen Nachmittag spielten wir in der Werkstatt, wo Kerzen gegossen wurden, ich drehte an den Spulen mit den Dochten, das Quietschen machte mir Spaß.
    Â»Was gibst du, wenn ich dir etwas sage?«, fragte Fane. Er zog den Rotz hoch und wischte mit dem Ärmel der verwaschenen Trainingsjacke über die weißlichen Krusten um seine Nasenlöcher.
    Â»Halt den Mund!«, rief Cornelia. »Der Herr Professor hat gesagt, wir sollen ihr nichts sagen.«
    Doch er rannte über den Hof ganz weit nach hinten und versteckte sich hinter großen Fässern, die heftig nach eingelegtem Kraut und saurem Wein stanken. Er zog den Zapfhahn heraus und steckte ihn wieder hinein, bis er festsaß, dann reckte er den Kopf hinter dem Fass hervor.
    Â»Deine dünne Tante da ist gestorben«, rief er zu mir herüber.
    Cornelia schnappte ihn sich, packte ihn an einem Ohr und zog daran, er brüllte und schlug mit Fäusten und angezogenem Knie um sich, um loszukommen. Damals gefiel es mir, dass sie nur von dem redeten, was mir passiert war. Allerdings waren sie weit weg, ich hörte nicht recht, was sie sagten, und wenn ich näher kam, schwiegen sie. Ich kriegte etwas mit vom Leichenwagen und vom Pfarrer, der kommen sollte, nicht der Pfarrer Gogu, ein anderer, sagten sie, von der Kirche unten im Tal, zur Heiligen Jungfrau. Dann tat es mir leid, dass sie nicht weiter darüber redeten, aber die Mutter von Cornelia schickte uns schlafen. Ich schlief mit Cornelia im Bett, und wir kicherten, bis sie uns das Licht ausmachten. An der Wand hing ein Teppich mit knallroten Blumen und quietschgrünen Blättern, der nach Mottenpulver stank. Das Bett war hart, und Cornelia sagte mir, unter uns lägen noch zwei Teppiche, die zu ihrer Aussteuer gehörten. Morgens erwachte ich als Letzte und ging in die Küche. Auf dem Herd, dessen krumme Röhren in ein verrußtes Loch in der Mauer mündeten, rührte ihre Großmutter mit einem Holzlöffel eine Speise für das Totenmahl an. Sie stöhnte vor Hitze und wischte sich mit dem Handrücken die fetten Schweißperlen von der Stirn und von der behaarten Oberlippe. Dann wurde die Speise in Teller gegossen, die ich als unsere erkannte.
    Â»Diese sollen sie hier verteilen, die anderen sollen sie mitnehmen«, sagte die Großmutter und stellte einen Teller beiseite. Sie bestreute die Portionen mit Zucker und Bröseln und legte in Kreuzform bunte Bonbons darauf, die Cornelias Brüder dann insgeheim mit den Fingern herauspickten und in den Mund schoben.
    Â»Gottverdammtes Pack!«, keifte die Alte und drohte ächzend mit dem Sieb, doch die Jungs schossen an ihr vorbei und versteckten sich im Garten.
    Nach dem Essen kam Mutter, sie trug schwarze Kleider, die ich nicht kannte, und ein dünnes schwarzes Kopftuch.
    Â»Wie siehst du denn aus!«, sagte sie, schimpfte aber nicht weiter. Sie zog mich zum Brunnen auf dem Hof und wusch mir eilig das Gesicht und die Hände.
    Als wir beide durch den Garten gingen, sagte sie, ich solle von Tante Ştefi Abschied nehmen. Bei uns waren noch mehr Leute als

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