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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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bloß, wie du damit umgehst …«
    Durch das offene Fenster drang der Pfiff eines Zuges und dann das Rattern der Waggons so laut, als rollten sie durch unseren Hof. Es war der Schnellzug nach Bukarest, der durch die Station am Ende der Straße fuhr.
    Â»Zwanzig nach neun!«, rief Mutter. »Los, pack schnell alles zusammen, gleich kommt dein Onkel, und du weißt, er mag es nicht, wenn jemand an seine Sachen geht.«
    Â»Wer ist denn das?«, fragte ich und nahm ihr ein Foto aus der Hand.
    Viele Herren mit breiten Rockaufschlägen sitzen da, das Weinglas in der Hand. Es ist Sommer, der Hof ist mit Gras zugewachsen, alle lachen sie und schneiden Grimassen. Am heftigsten grimassiert Onkel Ion, er sieht dem, der er jetzt ist, schon ähnlicher, und ich erkenne ihn, obwohl er die Zunge herausstreckt und mit der einen Hand seine Wangen so herabzieht, dass seine Augäpfel weiß hervortreten. Eine Dame hat ihn am Hals gepackt und versucht ihm eine aus einer Serviette gedrehte Schlaufe ins Haar zu binden, sie hat ihre Löckchen über dem Scheitel gerafft, ihre Brauen sind so schmal, dass ich sie kaum sehe, dafür ist ihr kleiner Mund ganz schwarz. Seltsam sind ihre Schuhe mit hohen breiten Absätzen, noch seltsamer aber ist das Kleid mit eckigen Schultern, das ihr schlaff bis über die Knie hängt.
    Â»Ach, die kennst du doch, das ist Tante Ştefi.«
    Dabei hatte Tante Ştefi doch dauernd krank im Bett gelegen in jenem Jahr, als wir hergezogen waren, nachdem sie Vater verhaftet hatten. Sie war so dünn, dass man meinte, ihre Haut würde rascheln, und ihre Wangenknochen traten spitz hervor. Sie sah viel älter aus als Onkel Ion, denn ihr Haar war schlohweiß, und sobald es ihr über die Ohren wuchs, klagte sie, es steche ihr in den Nacken. Dann schnitt Mutter es ihr mit der großen Schere ab, über einer ausgebreiteten Zeitung, auf die die stachlig steifen Strähnen fielen.
    Â»Sie hat es am Herzen«, hörte ich Mutter eines Abends dem Herrn Emil zuflüstern. »So ist sie, seit man sie nach dem Bombenangriff aus den Trümmern geholt hat. Damals hat sie auch ihr Kind verloren.«
    Seither überlegte ich ständig, wieso die das Kind denn nicht wiedergefunden hatten, und abends im Bett überkam mich die Angst, dass es mir genauso gehen könnte. Doch tagsüber spielten auch wir Bombenangriff, ich und Cornelia verkrochen uns im Schuppen unter den Holzvorräten für den Winter, die nach Staub und vertrocknetem Moos rochen, während Fane und Nicu Steine über den Hof schmissen und brüllten: »Die Flieger kommen … Rrrrrrrr …« Bis ihre Großmutter herauskam und uns alle mit Verwünschungen verjagte.
    Ich mochte Tante Ştefi nicht, denn sie lag ständig im Bett und wollte dauernd etwas. »Nicht einmal mehr lesen kann ich«, klagte sie. Nur vor den Mahlzeiten stand sie auf und ging hin und her, wobei sie ächzend die Stühle aus dem Weg räumte. Wenn sie etwas nicht essen wollte, schob sie den Teller zur Seite. »Das ist nichts für die Diät«, sagte sie. Mutter runzelte die Stirn, holte ihr aber etwas anderes.
    Manchmal sagte Tante Ştefi, sie fühle sich besser, und dann gingen wir gemeinsam spazieren, auf dem Boulevard. Vorher setzte sie sich seufzend vor den Spiegel, das Puder bildete mehlige Flecken auf ihren ausgemergelten Wangen, und der Lippenstift bröckelte an ihrem Mund.
    Â»Ich kann nicht einfach so rausgehen«, beschied sie schulterzuckend Onkel Ion, der sie von der Tür zur Eile drängte.
    Dann spazierten wir sehr langsam den Boulevard entlang bis in die Nähe des Korsos. Wir begegneten Leuten, die ebenso langsam gingen wie wir, sie blieben stehen, wir blieben auch stehen, es wurde geredet. Ich zappelte ungeduldig, aber Mutter hielt mich straff an der Hand. Dann hielt Onkel Ion Ausschau nach einer Bank, auf die wir uns setzen könnten, aber sie waren alle schon besetzt, vor allem wenn es dunkel wurde.
    Nach dem Abendessen schluckte Tante Ştefi ihre Pillen, die sie in Schachteln neben dem Teller aufgereiht hatte. Ich stand vor ihr und tat, als würde ich schlucken, trank Wasser und lachte dabei.
    Â»Dieses Kind ist sehr ermüdend mit seinem Geplapper«, hörte ich sie zum Onkel sagen, und er antwortete verlegen: »Ein Kind halt.« Ängstlich blickte er in Richtung Vorzimmer.
    Zu der Zeit wohnten Mutter und ich dort.
    Abends redete Tante Ştefi

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