Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
sagen“, bemerkte der Prokurator, „daß, wenn Ihr Euer Verbrechen eingesteht, Ihr den Tod erwarten müßt.“
„Ich hoffe auf ihn“, erwiderte sie, dann sank sie wie sterbend auf das Bett zurück.
Jacques Charmolue erhob die Stimme: „Schreiber, schreibt nieder! – Zigeunermädchen, Ihr gesteht Euren Anteil an den Mahlen, Sabbatfesten und Übeltaten der Hölle mit Larven, Hexen und Gespenstern? Antwortet.“ – „Ja“, sprach sie so leise, daß ihr Wort im Hauche ihres Mundes sich verlor. – „Ihr gesteht, den Ziegenbock gesehen zu haben, den Beelzebub in den Wolken erscheinen läßt, wenn er den Sabbat versammelt, und der nur von Hexen gesehen wird?“ – „Ja.“ – „Ihr gesteht, mit Hilfe des Teufels und eines Gespenstes, das gewöhnlich der Popanz genannt wird, am 29. März einen Hauptmann, Phoebus von Chateaupers mit Namen, ermordet zu haben?“ – Sie schlug ihr großes, starres Auge auf und antwortete mechanisch ohne Zuckung: „Ja!“ – Ihre Kraft war gebrochen.
„Schreibt“, sprach Charmolue zum Schreiber; dann wandte er sich zu den Folterknechten mit den Worten: „Bindet die Gefangene los, damit sie wieder in den Gerichtssaal geführt werde.“ Als der Fuß der Gefangenen frei war, betrachtete ihn der Prokurator. Der Fuß war von Schmerz noch immer erstarrt. „Kommt“, sagte Charmolue, „das Übel ist noch nicht groß. Ihr schrieet beizeiten. Schöne, du könntest heute noch tanzen.“ – Dann wandte er sich zu den Priestern des geistlichen Gerichts: „Endlich ist die Gerechtigkeit im klaren, das erleichtert unser Gefühl. Mademoiselle wird uns das Zeugnis geben, daß wir mit aller möglichen Milde verfuhren.“
Als sie blaß und hinkend in den Gerichtssaal trat, empfing sie ein allgemeines Murmeln der Zufriedenheit. Bei den Zuschauern war es das Gefühl befriedigter Ungeduld, wie man es im Theater nach dem Schluß des letzten Zwischenaktes der Komödie und beim Beginn des Endes zu empfinden pflegt. Von seiten der Richter war es die Hoffnung, bald zu Abend zu essen. Auch die kleine Ziege meckerte freudig; sie wollte ihrer Herrin entgegenlaufen, man hatte sie aber an die Bank gebunden.
Mühsam hatte sich die Angeklagte auf ihren Platz geschleppt. Als Charmolue sich mit Amtswürde auf den seinigen gesetzt hatte, stand er wieder auf und sprach, ohne viel Eitelkeit über den Erfolg seines Verhörs durchblicken zu lassen: „Die Angeklagte hat alles gestanden.“
„Zigeunermädchen“, begann der Präsident, „Ihr habt also Eure Übeltaten der Zauberei, Schande und des Mordes an Phoebus von Chateaupers eingestanden?“
Ihr Herz zog sich zusammen. Man hörte, wie sie im Dunkel schluchzte. „Alles, was Ihr wünscht, aber tötet mich schnell!“
Meister Charmolue zog ein großes Aktenbündel aus der Tasche und las mit lebhafter Gebärde und im scharfen Ton eines Advokaten eine lateinische Rede vor. Er hatte noch nicht einmal die Einleitung der Rede vollendet, als ihm schon der Schweiß von der Stirn träufelte und die Augen aus den Höhlen traten. Plötzlich hielt er mitten in einer schönen Periode inne, und sein gewöhnlich sanfter, sogar dummer Blick, wurde sprühend. „Meine Herren!“ rief er aus (und zwar französisch, denn dies stand nicht auf seinem Papier), „Satan ist in dieser Angelegenheit so sehr verwickelt, daß er sogar bei den Verhandlungen gegenwärtig ist. Seht! Er äfft der Repräsentanten Seiner Majestät nach.“ Mit den Worten zeigte er mit dem Finger auf die Ziege, die als sie Charmolue gestikulieren sah, auf den Einfall kam, dasselbe tun zu müssen. Sie saß auf den Hinterpfoten und ahmte so gut wie möglich durch Schütteln ihres bärtigen Hauptes und durch Hin- und Herschwenken ihrer Vorderpfoten den Prokurator nach. Der Leser wird sich wohl noch erinnern, dies war eines ihrer artigen Kunststücke. Es brachte aber jetzt eine ungeheure Wirkung hervor; man band der Ziege die Pfoten, und der Prokurator nahm den Faden seines Vortrages wieder auf. Dieser war sehr lang, aber von bewunderungswürdiger Beredsamkeit. Hier folgt die letzte Phrase, wozu man sich noch die heisere Stimme und die letzten angestrengten Gesten Meister Charmolues hinzudenken muß: „Ideo, Domini, coram stryga demonstrata, crimine patente, intentione criminis existente, in nomine sanctae Ecclesiae Nostrae Dominae Parisiensis, quae est in saisina habendi omnimodam altam et bassam justitiam in illa hac intemerata Civitatis insula, tenore praesentium declaramus nos requirere, primo,
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