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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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aliquamdam pecuniariam indemnitatem, secundo amendationem honorabilem ante portalium Nostrae Dominae ecclesiae cathedralis; tertio sententiam, in virtute cujus ista stryga cum sua capella seu in trivio vulgariter dicto la Grève seu in insula exeunte in fluvio Secanae, juxta pointam jardini regalis, executatae sint.“
    Dann setzte er seine Mütze auf und ließ sich auf seinen Stuhl nieder.
    Hierauf stand ein anderer Mann im schwarzen Kleide neben der Angeklagten auf. Es war ihr Verteidiger. Die hungrigen Richter fingen an zu murren. „Verteidiger, faßt Euch kurz“, sprach der Präsident.
    „Herr Präsident“, erwiderte der Verteidiger, „weil die Beklagte ihr Verbrechen eingestand, kann ich den Herren nur ein Wort sagen. Es heißt im Texte des salischen Gesetztes: ‚Frißt ein Hex‘ einen Menschen und wird dessen überführt, soll sie eine Strafe von achttausend Deniers bezahlen, d. h. zweihundert Sous Gold.‘ Es gefalle dem Gerichtshofe, meine Klientin zur Geldstrafe zu verdammen.“
    „Der Text ist abgeschafft“, sprach der außerordentliche Advokat des Königs. – „Nego!“ entgegnete der Verteidiger. – „Zur Abstimmung!“ rief ein Rat. „Das Verbrechen ist erwiesen, und es ist schon spät.“
    Man schritt zur Abstimmung, ohne den Saal zu verlassen. Die Richter stimmten durch Entblößung ihres Hauptes. Dann ging der Schreiber wieder an seine Arbeit und übergab dem Präsidenten ein langes Pergament. Die Unglückliche vernahm, wie das Volk sich regte, wie die Piken sich stießen, und wie eine eisige Stimme sprach:
    „Zigeunermädchen, am Tage, wo es dem König, unserem Herrn, gefällt, sollst du im Hemde mit bloßen Füßen, den Strick um den Hals, auf einem Karren zum Portal von Notre-Dame geführt werden; dort sollst du, mit einer Wachsfackel von zwei Pfund Schwere in der Hand, öffentlich Buße tun und auf dem Grèveplatz gehenkt werden; ebenso deine Ziege. Dem Offizial sollst du drei goldene Löwentaler als Strafe für Hexerei, Bosheit, Üppigkeit und Mord am Herrn Phoebus von Chateaupers bezahlen. Gott sei deiner Seele gnädig!“
    „Oh, welch ein Traum!“ sprach sie halblaut und fühlte, wie rohe Hände sie fortschleppten.

33. Lasciate ogni speranza*
    Sobald im Mittelalter ein Gebäude vollendet war, gehörten ihm ebensoviel Räume unter wie über der Erde. Paläste, Burgen und Kirchen hatten stets, wenn sie nicht auf eingerammten Pfählen gebaut waren, einen doppelten Grund. In den Kathedralen war dies gleichsam eine zweite unterirdische, geheimnisvolle, dunkle, niedrige, stumme Kathedrale unter dem oberen lichtvollen Schiff, das Tag und Nacht von Orgeln und Glocken ertönte. Bisweilen waren es Gräber. In Palästen und Burgen war der unterirdische Bau ein Kerker, oft ein Grab, bisweilen beides zugleich. Jene mächtigen Bauten hatten nicht allein eine Grundmauer, sondern Wurzeln, die sich in Kammern, Gängen, Treppen unter der Erde wie im oberen Bau ausbreiteten. In der Bastille, dem Justizpalast, dem Louvre waren diese unterirdischen Bauten zu Kerkern bestimmt. Je tiefer die Stockwerke sich senkten, desto enger und düsterer wurden sie. Dante hätte kein treffenderes Bild für seine Hölle finden können. Sobald ein elendes Leben dort begraben war, mußte es dem Tage, der Luft Lebewohl sagen; es trat nur aus der Finsternis, sie mit dem Galgen oder mit dem Scheiterhaufen zu vertauschen. Manche verfaulten dort; die menschliche Gerechtigkeit nannte dies Vergessen. Zwischen den Menschen und dem Verurteilten ruhte auf dem Haupte des letzteren ein Haufen von Steinen und Gefangenenwärtern. Der ganze Bau, die massive Bastille, war gleichsam ein schwerer Riese, der ihn von der lebenden Welt ausschloß.

    * Laßt alle Hoffnung schwinden. (Dante.)
    In eine Höhle dieser Art hatte man die zum Galgen verurteilte Esmeralda geworfen, wahrscheinlich, damit sie nicht entwische. Hier lag sie vernichtet und begraben im Dunkel. Kalt wie Nacht und Tod lag sie da. Kein Lufthauch zog durch ihre Locken, kein menschlicher Laut traf ihr Ohr, kein Strahl des Tages ihr Auge; erdrückt von Ketten, kauerte sie neben einem Wasserkruge und einem Stück Brot auf einem Strohhaufen im Wasserpfuhle, den die Feuchtigkeit des Gefängnisses bildete, ohne Bewegung, fast ohne Atem. Sie litt nicht einmal mehr Schmerzen. Phoebus, die Sonne, der Mittag, die frische Luft, die Straßen von Paris, der Beifall beim Tanz, das süße Liebesgeschwätz mit dem Offizier, dann der Priester, die Alte, der Dolch, Blut, Folter und

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