Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
Vom Netzwerk:
Wand zeichnete. Dom Claude bemerkte seinen Bruder kaum, denn andere Gedanken nahmen ihm den Kopf ein. Des mutwilligen Knaben fröhliches Gesicht, dessen Ausdruck das düstere Antlitz des Priesters sonst erheitert hatte, vermochte jetzt nicht, den Nebel zu zerteilen, der aus dieser sumpfigen, verdorbenen Seele täglich verdichteter aufstieg.
    „Bruder“, sprach Jehan furchtsam, „ich besuche Euch.“ Der Archidiakonus schlug nicht einmal die Augen auf. „Weiter!“ sprach er. „Bruder“, begann der Heuchler, „Ihr seid so gütig, gebt mir so oft guten Rat, daß ich immer wieder zu Euch komme.“ – „Weiter!“ – „Ach Bruder, Ihr hattet wohl recht, als Ihr sagtet: Jehan, Jehan! Cessat doctorum doctrina, discipulorum disciplina! Jehan, bleibe die Nächte nicht aus dem Kollegium weg ohne rechtsmäßigen Grund und Erlaubnis deines Lehrers. Prügele nicht die Picardier! Noli, Joannes verberare Picardos! Verfaule nicht, wie ein unwissender Esel, quasi asinus illiteratur, auf dem Futterstroh der Schule! Jehan, laß dich nach Gutbefinden des Lehrers strafen! Jehan, geh jeden Abend in die Kapelle und singe dort einen Psalm der glorreichen Jungfrau Maria! Ach, das war ein trefflicher Rat!“ – „Weiter!“ – „Bruder, Ihr seht einen elenden, schuldigen Verbrecher, ein Scheusal, einen Liederlichen! Lieber Bruder, Jehan trat Euren Rat wie Mist mit Füßen. Ich bin schwer bestraft, denn Gott ist gerecht. Solange ich Geld hatte, trieb ich Possen und führte ein lustiges Leben. Ausschweifung, so schön von vorn, ist doch häßlich von hinten! Ich habe keinen Heller! Verkaufte Hemd, Tisch- und Handtuch! Das lustige Leben ist vorbei! Die schöne Kerze ist erloschen, und ein elendes Talglicht dampft mir unter der Nase. Ich trinke Wasser; ich werde von Gewissensbissen und Gläubigern gepeinigt.“
    „Weiter!“ sprach der Archidiakonus.
    „Ach, lieber Bruder, ich möchte mich bessern! Ich trete zerknirscht vor Eure Augen! Ich tue Buße und beichte! Auf die Brust schlage ich mit geballten Fäusten. Ihr hattet recht, daß ich einst Submonitor und Lizentiat im Kollegium Torchi werden sollte. Für diesen Stand fühle ich jetzt herrlichen Beruf. Ich habe aber keine Tinte und muß sie doch kaufen; ich habe weder Bücher noch Papier und muß beides doch kaufen! Dazu brauche ich ein wenig Geld und komme deshalb zu Euch, mein Bruder, voll Zerknirschung.“ – „Weiter nichts?“ – „Ja, ein wenig Geld!“ – „Ich habe keins.“
    Da sprach der Student mit entschlossener und ernster Miene: „Gut, Bruder, es tut mir leid, Euch sagen zu müssen, daß man mir andererseits sehr vorteilhafte Anträge gemacht hat. Ihr wollt kein Geld geben?“ – „Nein.“ – „In dem Falle werde ich Landstreicher.“
    Als er dies furchtbare Wort aussprach, gab er sich die Miene eines Ajax, der erwartet, der Blitz werde auf sein Haupt niederstürzen.
    Der Archidiakonus sprach kalt: „Werde Landstreicher!“ Jehan grüßte ihn mit tiefer Verbeugung und ging pfeifend die Treppe hinab. Als er durch den Klosterhof kam, hörte er, wie das Fenster seines Bruders aufgerissen ward. Er reckte die Nase in die Höhe und sah das strenge Gesicht des Archidiakonus hervorragen. – „Geh zum Teufel!“ rief Dom Claude, „das ist das letzte Geld, das du von mir bekommst!“
    Zugleich warf der Priester eine Börse hinab, die Jehan eine Beule auf der Stirn verursachte, worauf Jehan, zugleich verdrießlich und vergnügt, wie ein Hund fortging, den man einen Markknochen an den Kopf wirft.

43. Es lebe die Lust!
    Der Leser hat wohl vergessen, daß ein Teil des Hofes der Wunder durch die alte Ringmauer der Stadt begrenzt ward, die damals anfing zu verfallen. Ein Turm dieser Mauer war von den Landstreichern zum Vergnügungsort bestimmt. Im Keller war eine Schenke, das übrige in den oberen Stockwerken. Dieser Turm war der lebendigste und folglich auch der scheußlichste Teil des Wunderhofes, eine Art ungeheuren Bienenkorbes, in dem es Tag und Nach summte. Des Nachts, wenn der übrige Teil des Bettlerquartiers schlief, wenn kein Fenster an den schmutzigen Häusern des Platzes mehr leuchtete, wenn man kein Geräusch aus diesen unzähligen Hütten, den Ameisenhaufen von Dieben, von den Mädchen, gestohlenen oder Bastardkindern mehr vernahm, fiel der der Freude dienende Turm noch immer auf durch den dort herrschenden Lärm, das rote Licht, das zugleich durch die Luftlöcher, die Fenster, die Mauerspalten, gleichsam aus allen seinen Poren drang.
    Der Keller

Weitere Kostenlose Bücher