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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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mich noch einmal so an, so stülpe ich dir die Nase mit Nasenstübern.“
    Clopin trat wieder ein und rief mit Donnerstimme: „Mitternacht!“ Dieses Wort brachte die Wirkung eines Marschsignals bei einem rastenden Regiment hervor. Alle Landstreicher, Männer, Weiber, Kinder, drängten sich unter lautem Waffengeklirr aus der Schenke. Der Mond war mit Wolken bedeckt, der Wunderhof stockfinster, man sah kein Licht, allein er war nicht verlassen. Eine Masse Männer und Weiber sprachen leise miteinander; man hörte ein Summen und konnte im Dunkel die blanken Waffen erblicken. Clopin stieg auf einen Stein. „Bildet eure Reihen, Kauderwelsche, Zigeuner, Galiläer!“ rief er laut. Im Schatten entstand eine Bewegung. Die ungeheure Masse schien sich als Kolonne zu bilden. Nach einigen Minuten erhob noch einmal der König von Thunes seine Stimme: „Duchzieht Paris im tiefsten Schweigen! Das Losungswort sei: Kleine Flamme zum Spiel! Die Fackeln werden erst vor der Kirche Notre-Dame angezündet. Marsch!“
    Nach zehn Minuten flohen die Reiter der Wache voll Schrecken vor einer Prozession schwarzer und schweigender Männer, die zum Pont-aux-Changes hin die gewundenen Straßen durchzog, die das Viertel der Hallen nach allen Richtungen hin durchschneiden.

44. Ein ungeschickter Freund
    In derselben Nacht war Quasimodo noch nicht eingeschlafen. Er hatte seine letzte Runde in der Kirche gehalten und nicht bemerkt, daß der Archidiakonus, als er die Tore schloß, bei ihm vorüberging und einigen Ärger zeigte, weil Quasimodo das ungeheure Eisenwerk, das den beiden Türflügeln die Festigkeit einer Mauer verlieh, mit großer Sorgfalt verkettete und verriegelte. Dom Claude schien noch mehr als gewöhnlich von Gedanken gepeinigt zu sein. Auch mißhandelte er Quasimodo seit dem nächtlichen Abenteuer in der Zelle fortwährend; er mochte ihn aber noch so sehr anfahren, sogar mitunter schlagen, der Gehorsam, die Geduld und die Hingebung des treuen Glöckners wurden durch nichts erschüttert. Beleidigungen, Drohungen, Schläge des Archidiakonus duldete er, ohne einen Vorwurf zu murmeln oder eine Klage auszustoßen. Höchstens sah er ihm unruhig nach, wenn der Archidiakonus die Turmtreppe hinaufstieg; allein dieser hatte freiwillig darauf verzichtet, vor der Zigeunerin wieder zu erscheinen. Quasimodo war in jener Nacht, nachdem er einen Blick auf seine arme verlassenen Glocken geworfen, auf den Gipfel des nördlichen Turmes gestiegen, stellte seine wohlgeschlossene Blendlaterne auf das bleierne Dach und besah Paris. Wie wir schon sagten, war die Nacht sehr dunkel. Paris, das damals sozusagen noch nicht erleuchtet war, bot seinem Auge einen wirren Haufen schwarzer Massen, hier und da durch die weißliche Krümmung der Seine durchschnitten. Nur an einem weit entfernten Fenster sah Quasimodo ein Licht an einem Hause, dessen unbestimmtes düsteres Profil sich hoch über die Dächer am Tore St. Antoine hinzeichnete; auch dort wachte jemand.
    Als er den Blick seines einzigen Auges über diesen Horizont von Nacht und Nebel schweben ließ, empfand er im Herzen eine unaussprechliche Angst. Seit mehreren Tagen hielt er genaue Wache. Stets sah er Leute mit unheilvollem Gesicht die Kirche umschwärmen, welche das Asyl des Mädchens nie aus dem Auge verloren. Er ahnte, eine Verschwörung werde gegen die arme Geflüchtete angezettelt, und meinte, derselbe Volkshaß, der ihn verfolge, gelte auch dem armen Mädchen, so daß in kurzem sich wohl etwas ereignen könne. Darum stand er wachsam auf der Turmspitze und behielt Paris und die Zelle stets im Auge, wie ein wachsamer Hund, der Mißtrauen gefaßt hat. Als er so die große Stadt mit dem einzigen Auge betrachtete, das die Natur, ihn gleichsam zu entschädigen, so durchdringend geschaffen hatte, daß es die ihm fehlenden Organe ersetzen konnte, schien es ihm, der Schattenriß des Quai de la vieille Pelletrie biete etwas Sonderbares, eine Bewegung finde dort statt, und die schräge Linie der Brüstung am weißlichen Strom sei nicht gerade, wie die der anderen Kais, sondern woge wie ein Fluß oder wie die Köpfe einer sich bewegenden Menschenmasse.
    Dies schien ihm auffallend. Er verdoppelte seine Aufmerksamkeit. Die Bewegung schien sich zur Altstadt zu richten. Es schimmerte kein Licht. Die Bewegung dauerte einige Zeit auf dem Kai, dann verschwand die Bewegung allmählich, als dringe sie in das Innere der Insel. Endlich hörte sie gänzlich auf und die Linie des Kais war gerade und unbeweglich. Im

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