Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Maurer ist unverschämt, so viel zu fordern“, meinte der König. „Weiter!“
„… Für den Zimmermann, für Bretter, Fenster, Nachtstuhl und andere Dinge zwanzig Livres zwei Sous.“
Die Stimme fuhr fort:
„Ach, Sire! Ihr hört mich nicht! Nicht ich schrieb dem Herrn von Guyenne die Sache, sondern der Herr Kardinal Balue.“
„Der Tischler ist teuer“, bemerkte der König. „Jetzt bist du doch fertig?“
„Nein, Sire … Dem Glaser für die Fenster jener Kammer sechsundvierzig Sous acht Heller.“
„Gnade, Sire! Oh, gewiß war es genug, daß man mein Vermögen meinen Richtern, mein Silbergerät dem Herrn von Torcy, meine Bibliothek dem Meister Pierre Doriolle, meine Tapeten dem Gouverneur des Roussillon schenkte. Ich bin unschuldig, schon vierzehn Jahre lang zittere ich vor Kälte im eisernen Käfig. Gnade, Sire; Gott wird es Euch lohnen!“
„Meister Olivier, wieviel beträgt das Ganze?“ – „Dreihundertsiebenundsechzig Livres acht Sous drei Heller.“ –
„Bei Unserer Frau, das ist ein teurer Käfig!“
Mit diesen Worten riß die Majestät dem Meister Olivier das Papier aus der Hand und prüfte, an den Fingern zählend, die Rechnung und den Käfig. Man hörte, wie der Gefangene schluchzte. Ein düsterer Eindruck herrschte bei allen, und alle Gesichter betrachteten einander erblassend.
„Vierzehn Jahre, Sire, vierzehn Jahre! Seit April 1469. Heilige Mutter Gottes! Sire, hört mich! Ihr erfreuet Euch unterdes der Sonnenwärme! Ich Unglücklicher! Werde ich nie den Tag sehen? Sire, seid barmherzig! Erbarmen ist königliche Tugend, woran der Strom des Zornes sich bricht. Glaubt Eure Majestät, es bedeute für einen König das Gefühl höchster Zufriedenheit auf dem Sterbebette, wenn er keine Beleidigung ungestraft ließ? Oh Sire, ich habe Euch ja auch nicht verraten! Es war der Herr von Angers! Am Fuße schleppe ich eine Kette mit einer dicken Kugel. Die ist schwerer, als recht ist! Ach, Sire, Mitleid! Gnade!“
Der König richtete den Kopf auf: „Olivier, ich sehe, daß man mir die Tonne Kalk zu zwanzig Sous angerechnet hat, und ist doch nur zwölf wert. Ihr müßt die Rechnung hierin abändern.“
Er wandte dem Käfig den Rücken und schickte sich an, die Kammer zu verlassen. Der unglückliche Gefangene schloß aus der Entfernung der Fackeln und dem Geräusch, der König gehe fort. „Sire! Sire!“ rief er voll Verzweiflung. – Die Tür schloß sich. – Schweigend stieg der König die Treppe zu seiner Kammer hinan; sein Gefolge war erschreckt durch den Jammer des Verurteilten. Plötzlich wandte sich Seine Majestät zum Gouverneur der Bastille mit den Worten: „Sagt doch, war jemand in dem Käfig?“ – „Sicherlich, Sire!“ antwortete dieser, über die Frage erstaunt. – „Wer?“ – „Der Herr Bischof von Verdun.“
Der König wußte das besser als jeder andere. So aber war einmal seine Art.
„Ah“, sprach er mit einem so naiven Ausdruck im Gesicht, als falle ihm das erst jetzt ein; „Ah so! Guillaume von Harancourt, Freund des Herrn Kardinals Balue. Ein guter Tropf von Bischof!“
Während der Abwesenheit des Königs hatte man einige Depeschen auf den Tisch gelegt. Ludwig erbrach die Siegel selbst und las eine Depesche nach der andern, gab Oliver, der bei ihm das Amt eines Ministers zu vertreten schien, ein Zeichen und diktierte ihm leise die Antworten, die dieser, vor dem Tisch kniend, in sehr unbequemer Stellung niederschrieb.
Guillaume Rym beobachtete alles. Der König aber sprach so leise, daß die Flamländer nichts hören konnten als nur einige vereinzelte und kaum verständliche Sätze: „… Um die fruchtbaren Gegenden durch Handel, die unfruchtbaren durch Fabriken zu bereichern … den Herrn Engländern unsere vier Bombarden zu zeigen … Die Artillerie ist Ursache, daß der Krieg gegenwärtig mit größerer Kunst geführt wird … Unserm lieben Herrn Bressuire … Die Armeen können ohne Abgaben nicht erhalten werden“, und so weiter.
Einmal erhob er die Stimme: „Gottes Ostern! Der Herr König von Sizilien siegelt seine Briefe mit gelbem Wachs, wie der König von Frankreich. Vielleicht haben Wir unrecht, ihm dies zu erlauben. Die Größe der Häuser wird durch die Unverletzlichkeit der Vorrechte erhalten. Merke das an, Gevatter Olivier.“
Ein andermal: „Oh, oh! Der dicke Packen! Was will denn Unser Bruder, der Kaiser? Wahrhaftig! Das heilige Deutsche Reich ist so groß und mächtig, daß man es kaum glauben kann. – Wir vergessen aber das alte
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