Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
„Gieffroi Pincebourde.“ – „Stand?“ – „Landstreicher.“ – „Was wolltest du bei dem verdammten Aufruhr?“ Der Landstreicher betrachtete den König mit stumpfem Gesicht, indem er seine Arme schaukelte. Er war ein unvollkommen gebildeter Kopf, in dem Verstand sich ebenso unbehaglich fühlte, wie ein Licht unter einem Löschhütchen.
„Ich weiß nicht“, sagte er, „weil die andern gingen, ging ich mit.“ – „Wolltet ihr nicht Euern Herrn, den Bailli des Palais, aufrührerisch plündern?“ – „Ich weiß weiter nichts, als daß man etwas bei jemandem holen wollte.“
Ein Soldat zeigte dem König ein Gartenmesser, das man dem Landstreicher genommen hatte. „Erkennst du die Waffe?“ fragte der König. – „Ja, es ist mein Gartenmesser. Ich bin Winzer.“ – „Erkennst du diesen Menschen als deinen Gefährten?“ (Bei den Worten zeigte der König auf Gringoire.) – „Nein.“ – „Genug!“
Hierauf gab der König der schweigenden, regungslosen Person an der Tür, die wir dem Leser schon angedeutet haben, ein Zeichen: „Gevatter Tristan, ein Mann für Euch.“
Tristan l’Hermite verneigte sich, gab mit leiser Stimme zwei Häschern einen Befehl, und der arme Landstreicher wurde abgeführt.
Jetzt trat der König zum zweiten Gefangenen, dem der Angstschweiß von der Stirne lief. „Dein Name?“ – „Peter Gringoire.“ – „Dein Stand?“ – „Philosoph, Sire.“ – „Wie wagst du, Schelm, Unsern Freund, den Herrn Bailli des Palais, anzugreifen, und was sagst du von diesem Aufruhr?“ – „Sire, ich war nicht dabei.“ – „Strohkopf! Bist du nicht von der Wache in schlechter Gesellschaft aufgegriffen worden?“ – „Sire, aus Versehen. Es ist Fügung des Schicksals. Ich dichte Tragödien. Sire, ich flehe zu Eurer Majestät, mich anzuhören. Ich bin Dichter. Leute dieses Standes gehen aus Schwermut des Nachts spazieren. Heute abend kam ich zufällig dort vorbei, man verhaftete mich mit Unrecht. Ich bin schuldlos an diesem bürgerlichen Sturm. Eure Majestät sah, daß mich der Landstreicher nicht erkannte. Ich beschwöre Eure Majestät …“
„Schweig“, sagte der König zwischen zwei Zügen aus seinem Becher, „du sprengst mir den Kopf.“
Tristan l’Hermite trat heran, zeigte mit dem Finger auf Gringoire und fragte: „Sire, darf ich auch den hängen lassen?“ Dies war das erste Wort, das er sprach. – „Nun“, sagte nachlässig der König, „ich sehe da kein Hindernis.“ – „Aber ich“, sprach Gringoire.
In dem Augenblick ward unser Philosoph grüner als eine Olive. An der kalten und gleichgültigen Miene des Königs bemerkte er, seine einzige Rettung liege in etwas sehr Pathetischem. Er stürzte dem König zu Füßen und rief mit den Gebärden der Verzweiflung:
„Sire, Eure Majestät lasse sich herab, mich zu hören. Sire, schleudert Euren Donner nicht gegen ein so kleines Geschöpf, wie ich bin. Gottes Blitz zerschmettert keinen Lattich. Sire, Ihr seid ein erhabener, mächtiger Monarch. Sire, habt Mitleiden mit einem armen, ehrlichen Mann, der einen Aufruhr ebensowenig anzuschüren vermag, wie eine Eisscholle dem Steine Funken entlocken kann. Gnädiger Sire, Gutmütigkeit ist die Tugend der Löwen und der Könige! Ach, die Strenge erbittert nur die Gemüter, der ungestüme Drang des Windstoßes ist nur Ursache, daß man den Mantel für den Augenblick ablegt; die Sonne aber, die allmählich wirkt, erhitzt ihn so, daß man sich bis aufs Hemd entkleidet. Sire, Ihr seid die Sonne! Mein hoher Gebieter und Herr, ich versichere Euch, ich bin kein liederlicher, diebischer Landstreichergeselle! Aufruhr und Raub gehören nicht zum Gefolge Apollos. Ich bin ein treuer Vasall Eurer Majestät. Die Eifersucht des Mannes hinsichtlich seiner Frau, die ängstliche Besorgnis eines Sohnes hinsichtlich der Liebe seines Vaters muß ein guter Vasall für den Ruhm seines Königs hegen; er muß aus Eifer für des Königs Haus, für das Wachsen seiner Macht sich ausdörren. Jede andere Leidenschaft, die ihn hinreißen könnte, wäre Wahnsinn. Dies sind meine Staatsgrundsätze, Sire! Wenn auch mein Wams an den Ärmeln abgeschabt ist, haltet mich nicht für einen Aufrührer und Dieb. Wenn Ihr mir Gnade schenkt, will ich Tag und Nacht auf den Knien für Euch beten. Ach! Ich bin nicht sehr reich, das ist wohl wahr. Ich bin selbst ein wenig arm, aber darum noch nicht lasterhaft. Meine Schuld ist’s nicht. Jeder weiß, daß aus den schönsten Wissenschaften keine bedeutenden
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