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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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Tristan. Für sich hält er den Arzt, für andere den Henker.“
    Coictiers Ausdruck ward immer unruhiger, während er den Puls befühlte. Ludwig XI. betrachtete ihn mit einiger Ängstlichkeit. Coictier ward immer düsterer. Der gute Mann hatte nämlich keine andere Meierei als das Übelbefinden des Königs, das er denn so gut wie möglich ausbeutete. „Oh, oh“, murmelte er endlich, „das ist gefährlich!“ – „Nicht wahr?“ sprach der König sehr unruhig. – „Pulsus creber, anhelans, crepians, irregalis“, fuhr der Arzt fort. – „Gottes Ostern!“ – „Das Übel kann in drei Tagen seinen Mann töten.“ – „Bei Unserer Frau! Das Mittel, Gevatter?“ – „Sire, ich sinne darüber nach.“
    Er ließ Ludwig XI. die Zunge herausstrecken, richtete den Kopf auf, schnitt ein ernstes Gesicht und sagte mitten in dieser Ziererei: „Wahrhaftig, Sire, ich muß Euch sagen, die Stelle eines Einnehmers bei den Regalien ist erledigt, und ich habe einen Neffen.“ –
    „Ja, ja, dein Neffe soll die Stelle haben, aber zieh mir das Feuer aus der Brust.“ – „Weil Eure Majestät so gnädig ist, wird sie mich auch wohl ein wenig unterstützen wegen meines Baues in der Rue St. André des Arcs.“
    „Was?“ rief der König aus.
    „Ich bin mit meinem Geld am Ende“, fuhr der Doktor fort, „und es wäre wirklich schade, erhielte mein Haus kein Dach; nicht wegen des Hauses, denn das ist einfach-bürgerlich, sondern wegen der Gemälde Jehan Fourbaults, die das Täfelwerk schmücken. Dort ist unter andern eine Diana, die in der Luft schwebt, so schön zart, ungezwungen, mit schönem Hauptschmuck und dem Halbmond, mit so weißem Fleisch, daß alle, welche die Gestalt zu aufmerksam betrachten, in Versuchung geführt werden. Ferner eine andere sehr schöne Göttin, die Ceres. Sie sitzt auf Korngarben und ist eine der unschuldigsten, vollkommensten Schönheiten, die je der Pinsel schuf.“
    „Du Henker!“ brummte Ludwig, „wo soll das hinaus?“ – „Ich muß für diese Gemälde ein Dach haben, und obgleich das sehr unbedeutend ist, habe ich kein Geld mehr.“ – „Wieviel kostet dein Dach?“ – „Höchstens zweitausend Livres; ein Kupferdach mit Vergoldung.“ – „Oh du Mörder!“ rief der König aus; „du ziehst mir keinen Zahn aus, der nicht ein Diamant wäre.“ – „Soll ich mein Dach haben?“ – „Ja, und geh zum Teufel, aber erst kuriere mich!“
    Jacques Coictier verneigte sich tief und sprach: „Sire, ein zurücktreibendes Mittel wird Euch retten. Wir legen Euch auf die Schenkel das große Verteilungsmittel bestehend aus Wachspflaster, armenischen Bolus, Eiweiß, Öl und Essig. Mit dem Trank fahrt fort, und ich stehe für Eure Majestät ein.“
    Eine brennende Kerze lockt mehr als eine Fliege herbei. Meister Olivier, da er den König so freigebig sah, hielt den Augenblick für güngstig und trat heran: „Sire …“ – „Was? Willst du auch etwas haben?“ – „Sire, Eure Majestät weiß, Meister Simon Radin ist gestorben.“ – „Nun?“ – „Er war Rat des Königs im Justizschatze.“ – „Nun?“ – „Sire, seine Stelle ist erledigt.“
    Bei diesen Worten vertauschte Meister Olivier den hochmütigen Ausdruck seines Gesichts mit dem demütigen. Bekanntlich ist dies der einzige Wechsel, den die Gestalt eines Höflings zeigt. Der König sah ihm starr ins Gesicht und sprach trocken: „Ich verstehe Euch!“ – Dann begann er aufs neue nach einer Pause: „Meister Olivier, der Marschall von Boucicaut sagte: ‚Der König ist Schenkgeber, wie das Meer Fischgeber.‘ Ich sehe, Ihr habt auch die Meinung des Herrn von Boucicaut angenommen. Jetzt hört mich an. Wir haben ein gut Gedächtnis. 1468 machten Wir Euch zum Kammerherrn; 69 zum Wächter des Schlosses an der Brücke St. Cloud. Im November 73 ernannten Wir Euch zum Hüter des Waldes von Vincennes; 75 zum Richter des Forstes von Rouvraylez-St.-Cloud; 78 übertrugen Wir Euch gnädigst durch Patentbriefe mit doppeltem Siegel von grünem Wachs eine Rente von zehn Livres für Euch und Eure Frau, die Ihr von der Schule St. Germain auf dem Platz aux Marchands erhebt; 79 machten Wir Euch zum Forstrichter des Waldes von Senart anstatt des armen Teufels Jehan Daiz; dann zum Hauptmann des Schlosses Loches; dann zum Gouverneur von St. Quentin; dann zum Hauptmann der Brücke von Meulan, von der Ihr den Grafentitel führt. Von den fünf Sous, die als Geldstrafe ein Barbier zahlt, der an Festtagen rasiert, bekommt Ihr drei Sous und ich

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