Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Kreuz von St. Lô geschworen. Olivier öffnete den Mund, zu antworten: „Sire …“
„Knie nieder“, unterbrach ihn zornig der König. „Tristan, gib acht auf den Menschen!“
Olivier kniete nieder und sprach kalt: „Sire! Eine Hexe ward durch Euren Parlamentshof verurteilt. Sie floh in die Kathedrale Notre-Dame. Dort will sie das Volk mit Gewalt herausreißen. Der Herr Prévot und der Ritter der Wache, die von dem Aufruhr herkommen, mögen mich Lügen strafen, sage ich nicht die Wahrheit. Das Volk belagert Notre-Dame!“
„Ha so!“ sprach der König leise, vor Zorn zitternd und erblassend. „Notre-Dame! Sie belagern Unsere Frau, meine gnädige Herrin in Notre-Dame! – Olivier, steh auf! Du hast recht. Ich gebe dir die Stelle des Simon Radin. Du hast recht. – Mich greift man an. Die Hexe steht unter dem Schutz der Kirche. Und ich glaubte, das Volk empöre sich gegen den Bailli! Nein, gegen mich!“
Durch Wut verjüngt, ging er mit großen Schritten im Zimmer umher. Er lachte nicht mehr, er war grauenhaft-furchtbar; der Fuchs verwandelte sich in die Hyäne. Er schien vom Zorn so sehr benommen, daß er nicht reden konnte. Seine Lippen bebten, seine fleischlosen Hände kniffen sich zusammen. Plötzlich richtete er das Haupt auf; sein hohles Auge schien zu funkeln, und seine Stimme schallte hell wie eine Trompete: „Nieder, Tristan! Nieder mit den Schurken! Tristan, Freund, töte, töte!“ Nachdem dieser erste Ausbruch vorüber war, setzte er sich nieder und sprach mit kalter Wut:
„Hier! Tristan. – In dieser Bastille sind die fünfzig Lanzen des Vicomte de Gif, dreihundert Pferde. Ihr nehmt sie. Hier ist auch Unsere Ordonnanz-Kompanie des Herrn von Chateaupers; Ihr nehmt sie. Ihr seid Prévot des Maréchaux, Ihr habt die Leute Eurer Prévoté. Ihr nehmt sie. Im Hotel St. Pol findet Ihr vierzig Schützen von der neuen Garde des Herrn Dauphin. Ihr nehmt sie. Mit den Truppen eilt auf Notre-Dame zu. – Ha! Ihr Herren Bürger von Paris, Ihr werft Euch der Krone Frankreichs, der Heiligkeit Unserer Frau und dem Frieden dieses Staates entgegen! – Tristan, vernichte sie! Vernichte sie! Keiner entschlüpft!“
Tristan verbeugte sich. – „Es soll geschehen, Sire.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Was soll ich mit der Hexe anfangen?“
Der König überlegte. – „Ah so!“ sagte er endlich, „die Hexe? Herr d’Estouteville, was wollte das Volk mit ihr anfangen?“
„Sire“, erwiderte der Prévot von Paris, „ich glaube, weil das Volk sie aus der Freistatt holen will, ist es über ihre Sicherheit wütend und will sie hängen.“
Der König schien einen Augenblick nachzusinnen, dann wandte er sich zu Tristan mit den Worten: „Gut, Gevatter! Vernichte das Volk und hänge die Hexe.“
„So ist seine Handlungsweise“, flüsterte Rym Coppenole ins Ohr, „er straft das Volk für den Willen und tut, was es verlangt.“
„Gewiß, Sire“, antwortete Tristan l’Hermite, „wenn aber die Hexe noch in Notre-Dame ist, soll ich sie dann dort trotz der Freistatt herausholen?“
„Gottes Ostern! Die Freistatt!“ sagte der König und kratzte sich hinter dem Ohr. „Das Weib muß aber doch gehängt werden!“
Dann sank er, als fiele ihm plötzlich etwas ein, vor dem Sessel in die Knie, nahm seinen Hut ab, stellte ihn vor sich hin und betrachtete andächtig eins der Bleibilder, womit der Hut beladen war. „Oh“, sprach er mit gefalteten Händen, „Notre-Dame von Paris, meine gnädige Beschützerin, verzeih mir! Die Verbrecherin muß ich bestrafen. Vergib mir diesmal, Unsere Frau von Paris; ich will es nicht wieder tun und dir eine schöne silberne Statue schenken. So sei es. Amen.“
Er schlug das Zeichen des Kreuzes, setzte den Hut wieder auf, erhob sich und sprach zu Tristan: „Eilt, Gevatter! Nehmt Herrn von Chateaupers mit Euch; laßt Sturmglocken läuten. Zerschmettert den Pöbel! Hängt die Hexe! Die Hinrichtung soll unter Eurer Leitung geschehen. Ich will’s. Ihr werdet mir Rechenschaft ablegen. – Olivier, komm. Heute nacht will ich nicht schlafen. Rasiere mich.“
Tristan l’Hermite verbeugte sich und ging. Der König verabschiedete Rym und Coppenole mit einer Handbewegung und den Worten: „Gott beschütze Euch, meine lieben Herren Flamländer. Ruht ein wenig. Die Nacht ist schon vorgerückt, und wir sind dem Morgen näher als dem Abend.“
Beide entfernten sich; als sie ihre Schlafgemächer unter der Leitung des Hauptmanns der Bastille erreichten, sprach Coppenole zu
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