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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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mir schöner zurückzugeben. Die Zigeunerinnen haben sie nicht gefressen! Wer hat mir das gesagt? Tochter, kleine Tochter, küsse mich! Die guten Zigeunerinnen! Du bist’s! Ach, darum klopfte mir das Herz, so oft du vorübergingst. Ich hielt es für Haß. Verzeih mir, Agnes, verzeih mir. Du glaubtest, ich sei böse. Wie liebe ich dich! Hast du noch dein Mal am Halse! Ja. Oh wie schön! Von mir hast du die großen Augen. Küsse mich, ich liebe dich. Jetzt mögen die andern Mütter Kinder haben, es gilt mir gleich. Hier ist meines. Sie mögen kommen. Seht seine Augen, seinen Hals, seine Haare. Nichts ist so schön wie das. Oh, in die wird sich mancher verlieben! Ich weinte fünfzehn Jahre lang. Alle meine Schönheit entschwand und ging auf dich über. Küsse mich!“
    Sie sprach noch andere trunkene Worte, deren Schönheit im Tone lag, brachte die Kleidung des armen Mädchens in Unordnung, bis dieses errötete, flocht sein Seidenhaar, küßte ihm den Fuß, das Knie, Stirn und Augen, war von allem entzückt. Das junge Mädchen ließ sie gewähren, und wiederholte leise mit unendlicher Sanftmut in Zwischenräumen: „Liebe Mutter!“
    „Siehst du, Mädchen“, begann die Klausnerin aufs neue, „ich will dich lieben. Wir gehen von hier und werden glücklich sein. Ich habe ein kleines Gut in Reims, unserer Vaterstadt, geerbt. Du kennst Reims? Ach nein, du kennst es noch nicht. Du warst zu klein. Oh, wüßtest du, wie schön du schon warst, als du erst vier Monate zähltest! Du hattest so schöne Füße, daß man bis von Epernay herkam, sie zu sehen. Wir haben ein Feld und ein Haus. Ich lege dich in mein Bett. Gott! Wer hätte das glauben sollen! Ich habe meine Tochter wieder!“
    Esmeralda fand endlich in ihrer Aufregung Kraft, die Worte zu sprechen: „Oh Mutter, die alte Zigeunerin hatte es mir gesagt. Unter uns war eine alte, gute Zigeunerin, die vergangenes Jahr starb und mich immer wie eine Amme wartete. Sie hängte mir den Beutel um den Hals und sagte immer: ‚Kleine, bewahre diesen Edelstein. Es ist ein Schatz, durch ihn findest du deine Mutter wieder. Deine Mutter trägst du am Halse.‘ – Die Zigeunerin hatte es mir vorhergesagt.“
    Die Klausnerin umfing aufs neue ihre Tochter mit den Armen. „Komm, daß ich dich küsse!“ sprach sie zärtlich. „Sind wir zu Hause, dann will ich ein Jesuskind mit Schuhen schmücken. Wir sind das der heiligen Jungfrau schuldig. Gott, welche schöne Stimme! Als du mir soeben etwas sagtest, klang das wie Musik. Oh Gott! Herr! Endlich fand ich meine Tochter. Ist es zu glauben? Ich bin unbesiegbar für den Tod, sonst wäre ich vor Freude gestorben.“ Dann klatschte sie wieder vor Freude in die Hände und rief: „Wir werden glücklich sein!“
    In dem Augenblick erschallte die Zelle von Waffengeklirr und Pferdegalopp, der von der Brücke Notre-Dame auf dem Kai immer näher zu dringen schien. Ängstlich stürzte sich die Zigeunerin in die Arme der Klausnerin.
    „Rette mich! Rette mich! Mutter, sie kommen!“
    Die Klausnerin erblaßte. „Oh Himmel, was sagst du? Ich hatte vergessen, daß du verfolgt wirst. Was hast du getan?“
    „Ich weiß nicht“, erwiderte das unglückliche Mädchen, „aber ich bin verurteilt, zu sterben.“ – „Zu sterben!“ sprach Gudule und wankte, als sei sie vom Blitz getroffen. „Zu sterben!“ sagte sie wieder und betrachtete ihre Tochter mit starrem Blick.
    „Ja, Mutter“, erwiderte das Mädchen außer sich, „sie wollen mich töten, und jetzt kommt man, mich zu greifen. Jener Galgen ist für mich. Rette mich! Rette mich! Sie kommen! Rette mich!“
    Die Klausnerin stand einige Augenblicke wie versteinert da, dann schüttelte sie den Kopf, als hege sie Zweifel und stieß plötzlich das furchtbare Gelächter aus, das ihr wiederkehrte: „Ho! ho!“ rief sie, „du erzählst mir da einen Traum! Ich hätte sie fünfzehn Jahre verloren und finde sie wieder auf eine Minute. Man sollte sie mir nehmen, und doch ist sie schön und groß, spricht mit mir, liebt mich, und jetzt sollten sie unter den Augen der Mutter sie zerfleischen. Oh nein, das ist unmöglich. Das erlaubt der liebe Gott nicht!“
    Jetzt schien der Reiterschwarm zu halten, und man vernahm eine Stimme in der Ferne: „Hierher, Herr Tristan! Der Priester sagte, wir müßten sie am Rattenloch finden.“ Dann begann wieder das Getöse der Pferdehufe.
    Mit dem Schrei der Verzweiflung richtete die Klausnerin sich auf. „Rette dich! Rette dich, Kind, jetzt fällt mir alles wieder ein!

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