Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
häßlichen grauen Haare aus und werfe sie dir ins Gesicht.“
Er errötete, erblaßte, ließ die Zigeunerin los und beschaute sie mit düsterer Miene. Sie hielt sich für siegreich und fuhr fort: „Ich sage dir, ich gehöre meinem Phoebus, ich liebe Phoebus, und Phoebus ist schön! Du, Priester, bist alt und häßlich! Geh!“
Er stieß einen furchtbaren Schrei aus, wie ein Unglücklicher, den man mit glühendem Eisen brennt. – „Stirb“, sprach er unter Zähneknirschen. Sie sah seinen furchtbaren Blick und wollte fliehen. Er ergriff sie, schüttelte sie, warf sie zu Boden, ging mit schnellen Schritten auf die Ecke der Tour Roland zu und schleppte sie an ihren schönen Händen hinter sich her auf dem Pflaster.
Dort angekommen, wandte er sich zu ihr. „Zum letztenmal! Willst du mein sein?“ Sie erwiderte mit Kraft: „Nein!“ Da rief er laut: „Gudule, Gudule, hier ist die Zigeunerin, räche dich!“
Esmeralda fühlte, wie sie am Ellbogen gepackt ward. Sie sah sich um; ein fleischloser Arm kam aus der Luke hervor und hielt sie mit eiserner Hand.
„Halte sie fest“, sprach der Priester, „es ist die entwischte Zigeunerin. Laß sie nicht los. Ich hole Sergeanten. Du wirst sie am Galgen sehen.“
Ein Lachen aus tiefer Kehle erwiderte aus dem Innern der Mauer auf die blutigen Worte. – „Ha! ha! ha!“ – Die Zigeunerin sah, wie der Priester nach der Brücke Notre-Dame hinlief. Man hörte in dieser Richtung das Stampfen der Pferdehufe. Sie erkannte die boshafte Klausnerin. Vor Schrecken keuchend, suchte sie sich loszureißen, sie krümmte sich, zuckte verzweifelnd wie im Todeskrampfe, allein die Klausnerin hielt sie mit unerhörter Kraft fest. Die knochigen und mageren Finger krümmten sich, drangen in das Fleisch der Zigeunerin und umschlossen rings den Arm. Es war, als ob die Hand an den Arme genietet haftete, fester als eine Kette, Halseisen und eiserner Ring; die Hand war wie eine lebende Zange, die aus der Mauer hervorragte. Erschöpft sank endlich die Zigeunerin an die Mauer. Da erfaßte sie Schauder vor dem Tode. Sie dachte an die Schönheit des Lebens, ihre Jugend, an den Anblick des Himmels und der Natur, an die Liebe, an Phoebus, an alles, was jetzt entfloh, und an alles, was sich näherte: an den Priester, der sie angab, den Henker, der kommen würde, an den Galgen, der vor ihr stand. Die Furcht stieg bis zu den Wurzeln der Haare empor, und sie vernahm das düstere Lachen der Klausnerin, die leise zu ihr sprach: „Ha, ha, ha, du wirst bald am Galgen baumeln!“
Da wandte sie sich halbtot zur Luke und sah die fahle Gestalt der Klausnerin hinter den Eisenstangen. „Was tat ich Euch?“ sprach sie fast entseelt.
Die Klausnerin erwiderte nichts, sondern murmelte nur mit singendem, spöttischem Ton: „Zigeunermädchen! Zigeunermädchen!“ Die unglückliche Esmeralda ließ ihr Haupt unter ihre Haare versinken und sah ein, daß sie vor einem nicht mehr menschlichen Wesen stand. Plötzlich rief die Klausnerin, als ob die Frage der Zigeunerin so viel Zeit bedurft hätte, um zu ihren Gedanken zu gelangen: „Was du mir getan hast, fragst du? Was du mir getan hast, Zigeunerin? Höre! Ich hatte ein Kind – ein Kind – ein schönes Mädchen. Ach, meine Agnes! (Sie rief dies wie wahnsinnig und küßte etwas im Dunkeln.) Ja, Zigeunermädchen, mein Kind ward gestohlen, gefressen! Das hast du mir getan!“
Das Mädchen antwortete sanft wie ein Lamm: „Ach, vielleicht war ich damals noch nicht geboren.“
„Oh ja“, erwiderte die Klausnerin, „du mußtest geboren sein! Sie wäre so alt wie du, fünfzehn Jahre weile ich schon hier, fünfzehn Jahre bete ich, fünfzehn Jahre dulde ich, fünfzehn Jahre stoße ich mein Haupt gegen die Mauern! Zigeuner stahlen es mir und zerfleischten es mit ihren Zähnen! Hast du ein Herz? Denk dir ein Kind, das spielt, saugt, schläft. So unschuldig! Ja, sie stahlen, töteten es! Gott weiß es. Heute ist die Reihe an mir, ich zerfleische die Zigeunerin. Oh, ich wollte dich beißen, wäre das Gitter nicht zu eng. Mein Kopf ist zu dick. Die arme Kleine! Während sie schlief, weckten sie, stahlen sie die Zigeuner! Sie mochte schreien! Umsonst! Oh, ihr Zigeunermütter, ihr fraßt mein Kind! Jetzt seht das eure!“
Sie lachte und knirschte mit den Zähnen. Auf dem wütenden Antlitz konnte man das eine vom andern nicht unterscheiden. Der Tag brach an. Ein halbes Licht erleuchtete die Szene, und der Galgen trat immer deutlicher auf dem Platze hervor. Die arme
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