Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
rief aus: „Bei Gott, Dom Claude, die Alchimie hat gewiß recht, warum aber lästert Ihr die Astrologie und die Medizin?“
„Eure Wissenschaft des Menschen ist ein Nichts; Eure Wissenschaft des Himmels ist ein Nichts“, sprach der Archidiakonus mit gebietendem Ton.
„Ihr schont ja weder Epidaurus, noch Chaldäa“, erwiderte grinsend der Arzt.
„Hört, Herr Jacques, ärgert Euch nicht und hört mich an. Welche Wahrheit habt Ihr, – ich meine nicht aus der Medizin, denn diese ist albernes Geschwätz, sondern aus der Astrologie gewonnen? Erwähnt nur die Eigenschaften des Bustrophedon Verticalis, das Ergebnis der Zahlen Ziruph und Zephirod!“
„Leugnet Ihr denn“, schrie Coictier, „die symbolische Kraft der Klavikula (Schlüssels Salomonis) und alles was die Kabbala daraus herleitet?“
„Irrtum, Herr Jacques; keine Eurer Formeln grenzt an die Wirklichkeit. Die Alchimie aber kann wirklich Entdeckungen aufweisen. Wollt Ihr Resultate, wie die folgenden ablehnen? Das tausend Jahre im Innern der Erde eingeschlossene Eis wird zum Bergkristall. Blei ist der Ahn aller Metalle; denn das Gold ist kein Metall, sondern Licht. Das Blei bedarf vier Perioden von zweihundert Jahren, um allmählich in den Zustand des roten Arseniks, von da in den des Zinnes, Silbers überzugehen. Sind das Tatsachen? Allein an die Klavikula, die volle Linie und die Sterne zu glauben, ist ebenso lächerlich, als der Wahn der Einwohner von Grand-Cathay, die Goldammer verwandle sich in einen Maulwurf und die Getreidekörner in Fische.“
„Ich habe die Alchimie studiert“, rief Coictier, „und behaupte …“ Aber der ungestüme Archidiakonus ließ ihn den Satz nicht schließen. – „Auch ich habe die Medizin, Alchimie, Astrologie studiert. Hier allein liegt die Wahrheit!“ Bei den Worten nahm er vom Pult die schon erwähnte Phiole voll schwarzen Pulvers. „Hier allein ist Licht! Hippokrates ist ein Traum, Urania ein Traum, Hermes ein Gedanke. Das Gold ist die Sonne; Gold machen, heißt Gott sein. Das ist die einzige Wissenschaft. Ich sage Euch, Medizin und Astrologie habe ich durchforscht! Nichts! Gar nichts! Dunkel der menschliche Körper, dunkel die Gestirne!“
Dann fiel er in gewaltiger, begeisterter Stellung auf seinen Stuhl zurück. Gevatter Trourangeau beobachtete ihn schweigend. Coictier suchte zu grinsen, zuckte unmerklich die Achseln und wiederholte mit leiser Stimme: „Verrückt! Verrückt!“
Plötzlich fragte Tourangeau: „Habt Ihr das wunderbare Ende berührt? Habt Ihr Gold gemacht?“
„Könnte ich das“, erwiderte Claude langsam, wie ein Mann, der nachsinnt, „hieße der König von Frankreich Claude und nicht Ludwig.“
Der Gevatter runzelte die Brauen.
„Was sagt’ ich da?“ rief Dom Claude mit verächtlichem Lächeln. „Der Thron Frankreichs wäre mir unbedeutend, da ich den Thron des Orients würde aufbauen können.“ – „Das ist was anderes“, sagte Tourangeau. – „Oh, der arme Verrückte!“ murmelte Coictier.
Der Archidiakonus fuhr fort, indem er nur seinen Gedanken nachzuhängen schien: „Doch ach! Ich krieche noch am Boden! Reibe die Knie mir auf den Kieseln des unterirdischen Ganges wund! Ich blicke nur fern, ich schaue nicht! Ich lese nicht, ich buchstabiere!“ – „Und wenn Ihr werdet lesen können“, fragte der Gevatter, „werdet Ihr dann Gold machen?“ – „Wer zweifelt?“ sprach der Archidiakonus. – „In dem Fall weiß Unsere Frau, daß ich sehr des Geldes bedarf, und ich möchte gern in Euern Büchern lesen können. Sagt mir, ehrwürdiger Meister, Eure Wissenschaft ist Unserer Frau doch nicht mißfällig?“
Auf diese Frage des Gevatters antwortete Claude mit ruhiger Würde: „Ich bin ihr Archidiakonus.“ – „Jawohl, Meister. Nun, wollt Ihr mich einweihen? Laßt mich mit Euch buchstabieren.“
Claude nahm die majestätische und priesterliche Stellung eines Samuel an. „Alter“, sprach er, „man bedarf längerer Jahre, als Euch bleiben, eine Reise durch diese geheimnisvollen Dinge zu unternehmen. Euer Haupt ist grau. Man verläßt die Höhle nur mit gebleichtem Haar, aber man kann sie nur mit schwarzem betreten. Die Wissenschaft allein vermag schon das menschliche Antlitz zu höhlen, zu trocknen und zu dörren; sie bedarf des Alters nicht, das Antlitz mit Falten zu durchziehen. Treibt Euch dennoch bei Eurem Alter die Lust, Euch Mühen zu unterziehen, das furchtbare Alphabet der Weisen zu entziffern, dann kommt zu mir, ich will es versuchen. Euch armem
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