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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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und seiner Abscheulichkeiten.
    Claude, hierdurch betrübt und entmutigt im Gefühle seines Herzens, warf sich mit desto größerem Eifer in die Arme der Wissenschaft, jener Schwester, die euch wenigstens nicht ins Gesicht lacht, und euch stets, wenn auch bisweilen mit etwas hohler Münze, bezahlt. So ward er stets gelehrter, und auch zugleich, in natürlicher Folge, stets strenger als Priester, stets trauriger als Mensch. Da er seit seiner Jugend beinahe den ganzen Kreis menschlichen Wissens durcheilt hatte, mußte er endlich anhalten, mußte aber weiter streben und nach anderer Nahrung für die rastlose Tätigkeit seines Geistes suchen. Da grub er noch tiefer unter dieser materiellen, begrenzten Wissenschaft, wagte vielleicht seine Seele, und setzte sich in der Höhle an die geheimnisvolle Tafel der Alchimisten, Hermetiker, Astrologen, die bis zum Orient an den Schein des siebenarmigen Leuchters, bis Salomo, Zoroaster und Pythagoras hinaufreicht. So hieß es wenigstens, vielleicht mit Recht, vielleicht mit Unrecht.
    Bei alledem fand sich kein Beweis der Zauberei vor, allein die gelehrten Häupter des Kapitels betrachteten ihn als eine Seele, die sich in den Vorhof der Hölle gewagt habe, in den Höhlen der Kabbala verloren sei und im Dunkel verborgener Wissenschaft herumtappe. Das Volk täuschte sich nicht; bei jedem, der Scharfsinn besaß, galt Quasimodo für den Teufel, Claude Frollo für den Hexenmeister. Es war offenbar: Der Glöckner mußte während einer bestimmten Zeit dem Priester dienen, und nahm dann als Bezahlung dessen Seele mit von dannen. Auch stand der Archidiakonus, ungeachtet seines übermäßig strengen Lebens, in schlechtem Geruch bei den frommen Seelen. Jede fromme und erfahrene Nase witterte in ihm den Zauberer.
    Der Archidiakonus mit seinem Glöckner war, wie wir schon sagten, bei den hohen und niederen Bewohnern der Umgegend des Doms eben nicht beliebt. Wenn Claude und Quasimodo zusammen ausgingen, wie das oft geschah, wenn man sie dann in Gesellschaft vorüberwandeln sah, wie der Diener dem Herrn folgte, und beide die schmutzigen, engen, düsteren Straßen der Umgegend von Notre-Dame durchschnitten, neckte sie manch böses Wort, mancher beleidigende Witz im Vorübergehen, wenn Claude Frollo, was freilich selten geschah, nicht mit erhobenem Haupte einherschritt und seine strenge, fast erhabene Stirn den verlegenen Witzbolden zeigte.
    Bald war es ein tückischer Knabe, der Haut und Knochen daran wagte, das unaussprechliche Vergnügen zu haben, eine Nadel in Quasimodos Höcker zu stecken; bald ein schönes junges und nur zu freches Mädchen, das an des Priesters schwarzem Kleide vorbeistreifte und ihm lachend das spöttische Lied ins Gesicht sang:
    „Man fing den Teufel zum Schabernack.“
    Bald brummte laut eine schmutzige Gruppe alter Weiber auf den Stufen einer Halle, wenn der Archidiakonus mit dem Glöckner vorüberging, und warf ihnen fluchend den ermutigenden Willkommen zu: der da hat eine Seele, wie der andere einen Leib; oder eine Bande Studenten oder Schulknaben, die Hinkebein spielten, begrüßten sie auf klassische Weise: Eia, Claudius cum Claudio!*

    * Lateinisch: Ei, sieh da, Claude mit einem Lahmen.
    Jedoch ward die Beleidigung gewöhnlich weder von dem Priester, noch von dem Glöckner bemerkt. Um diese anmutigen Dinge hören zu können, war Quasimodo zu taub und Claude zu sehr in Nachsinnen versunken.

18. Abbas Beati Martini
    Der Ruf Dom Claudes hatte sich weithin verbreitet und trug ihm einen Besuch ein, den er noch lange in Erinnerung behielt. Eines Abends begab er sich nach dem Meßamte in seine kanonische Zelle des Klosters Notre-Dame; diese zeigte nichts Geheimes noch Auffallendes, mit Ausnahme einiger in den Winkel gestellter Gläser mit einem zweideutigen Pulver, das dem Schießpulver sehr ähnlich war. Nur hin und wieder sah man einige Inschriften an der Wand, aber dies waren lediglich fromme oder wissenschaftliche Sprüche aus guten Schriftstellern. Der Archidiakonus hatte sich beim Schein einer geschnäbelten Kupferlampe an ein mit Manuskripten bedecktes Pult gesetzt. Er stützte den Ellenbogen auf das aufgeschlagene Buch des Honorius von Autun: De libero arbitrio et praedestinatione**, und blätterte, tief sinnend, in einem soeben herangetragenen Folianten, dem einzigen Presseerzeugnis, das seine Zelle enthielt. Mitten in seiner Träumerei vernahm er Klopfen an der Tür. „Wer da?“ rief der Gelehrte mit dem anmutigen Tone eines hungrigen Bullenbeißers, den man

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