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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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allein die dauerhafteste, sondern auch die einfachste, bequemste von allen ist, daß sie kein schwerfälliges Gerät hinter sich herschleppt und in Bewegung setzt; vergleicht man damit, daß der durch den Bau darzustellende Gedanke vier oder fünf andere Künste in Bewegung setzen, über Tonnen Goldes verfügen muß, eines Berges von Steinen, eines Waldes zum Zimmerwerk, eines Volkes zu Arbeitern bedarf, vergleicht man damit den Gedanken, dem zum Buche ein wenig Papier, Feder und Tinte genügt, so darf man sich gewiß nicht wundern, daß der menschliche Geist die Architektur für die Buchdruckerkunst aufgab. Auch vertrocknet die Baukunst allmählich nach Erfindung der Buchdruckerkunst. Wie deutlich merkt man, daß der Saft entschwindet, daß der Gedanke der Zeiten und Völker sich von ihr zurückzieht. Die Erkaltung ist im fünfzehnten Jahrhundert noch fast unmerklich, die Presse, noch zu schwach, entzieht der mächtigen Baukunst höchstens den Überschuß an Lebenskraft. Seit dem sechzehnten Jahrhundert wird aber die Krankheit der Baukunst sichtbar; sie drückt nicht mehr wesentlich die Gesellschaft aus, wird elend zur klassischen Kunst; aus der gallischen, europäischen, eingeborenen wird dies griechisch und römisch, pseudo-antik. Diesen Verfall nennt man die Renaissance. Der Verfall ist aber prächtig; denn der alte gotische Geist, die unter der gigantischen Presse von Mainz untergehende Sonne, durchdringt noch mit ihren letzten Strahlen die bastardartige Anhäufung lateinischer Arkaden und korinthischer Kolonnaden. Diese Abendsonne halten wir für eine Morgenröte. Sobald aber die Architektur nur eine Kunst wie jede andere ward, sobald sie nicht mehr die totale, herrschende, tyrannische Kunst blieb, besaß sie nicht länger Kraft, die übrigen zurückzuhalten. Sie befreiten sich, zerbrachen das Joch des Baumeisters, und jede folgte ihrer besonderen Richtung, jede gewann bei der Trennung; denn die Isolierung erhöht die Kraft. Die Schnitz- und Meißelkunst ward zur Bildhauerkunst, die Farbenkunst zur Malerei, der Kanon zur Musik. Da erstanden Raffael, Michelangelo, Palestrina, die blendenden Lichter des sechzehnten Jahrhunderts.
    Zugleich mit den Künsten befreite sich überall der Gedanke. Die Freigeister des Mittelalters hatten schon breite Breschen in den Katholizismus gerissen. Das sechzehnte Jahrhundert zerbrach die religiöse Einheit. Vor der Buchdruckerkunst wäre die Reformation nur zum Schisma geworden; die Buchdruckerkunst machte sie zur Revolution. Nehmt ihr die Presse, und die Ketzerei ist entnervt. Sei es Geschick oder Zufall, Gutenberg ist Luthers Vorläufer.
    Als aber die Sonne des Mittelalters untergegangen war, als der gotische Geist auf ewig am Horizont der Kunst erlosch, verschmachtete und entfärbte sich stets mehr und mehr die Architektur. Das gedruckte Buch, der nagende Wurm des Gebäudes, sog dieses aus und verschlang es. Es entblößte, entblätterte sich; der Blick konnte sein Abmagern erschauen; es wird ärmlich, kleinlich, nichtig, drückt nichts mehr aus, nicht einmal die Erinnerung an eine untergegangene Zeit. Auf sich selbst beschränkt, von den übrigen Künsten verlassen, weil der menschliche Gedanke sie verließ, rief sie anstatt der Künste Handwerke zum Beistand herbei. Das Glas ersetzte die Glasmalerei, der Steinhauer den Meißler. Verschwunden war Saft, Eigentümlichkeit, Leben und Geist. Als beklagenswerte Bettlerin der Werkstatt schleppt sie sich von Kopie zu Kopie. Michelangelo, der gewiß ihren Tod seit dem sechzehnten Jahrhundert vorher empfand, faßte eine letzte Idee der Verzweiflung. Dieser Titan der Kunst häuft ein Pantheon auf das Parthenon, und schuf Sankt Peter in Rom, ein großes Werk, das einzig zu bleiben verdiente, die letzte ursprüngliche Schöpfung der Architektur, das Siegel eines Riesenkünstlers am kolossalen Register von Stein, das geschlossen ward. Was tat die erbärmliche Architektur, die sich selbst als Gespenst und Schatten überlebte, nach Michelangelos Tode? Sie nahm Sankt Peter in Rom, ihn abzuzeichnen und zu parodieren. Albern und bemitleidenswert!
    Wie hoch erhob sich aber die Buchdruckerkunst! Das Leben, das der Architektur entschwand, ging auf die Presse über. Je mehr die Architektur sank, desto schneller wuchs die Buchdruckerkunst. Das Kapital der Kräfte, das der menschliche Gedanke bis dahin auf Gebäude verwandte, ging auf sie über. Mit dem sechzehnten Jahrhundert hatte die Presse sich auf die Höhe der Baukunst erhoben, begann den

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