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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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das Dogma, den Mythus, Gott; bei den drei jüngeren Schwestern, der phönizischen, griechischen, gotischen, wie sehr auch ihre Form verschieden sein mag, dieselbe Bedeutung, Freiheit, Volk, Mensch.
    In den drei ersten bemerkt man nur den Priester, mag er Brahmine, Magier oder Papst heißen. Dasselbe ist nicht bei der Architektur des Volkes der Fall. Sie ist reicher, aber weniger heilig. In der phönizischen sieht man den Kaufmann, in der griechischen den Republikaner, in der gotischen den Bürger. Die allgemeinen Kennzeichen jeglicher theokratischen Skulptur sind Unabänderlichkeit, Abscheu vor Fortschritten, Erhaltung der überlieferten Linien, Weihe der ursprünglichen Typen, eine stehende Form des Menschen und der Natur nach dem unverständlichen Willen des Symbols; dies sind dann die dunklen Bücher, die nur Eingeweihte zu entziffern vermögen. Jede Form, jede Mißgestaltung hat einen Sinn, durch den sie unverletzbar wird. Man verlangte nicht von ägyptischer, indischer und romanischer Kunst, sie solle die Umrisse ändern und die Statuen verbessern. Jede Vervollkommnung gilt ihnen als Frevel. Bei diesen Architekturen scheint es, die Starrheit des Dogmas habe sich über den Stein, wie eine zweite Versteinerung, verbreitet. – Die allgemeinen Kennzeichen der Volks-Architektur sind im Gegenteil Mannigfaltigkeit, Fortschritt, Originalität, Wohlhabenheit, ewige Bewegung. Sie haben sich schon hinlänglich von der Religion losgerissen, um an Schönheit zu denken, sie zu hegen, unaufhörlich ihren Schmuck der Statuen und Arabesken zu verbessern. Sie enthüllen den Zeitgeist und besitzen etwas Menschliches, das sie unaufhörlich mit dem göttlichen Symbol, das sie allerdings noch darstellen, vermischen. Daher die Gebäude, die jeder Seele, jedem Geiste, jeder Phantasie sich aufschließen; zwar sind sie noch stets symbolisch, doch wie die Natur leicht zu begreifen. Zwischen der theokratischen und dieser Architektur liegt der Unterschied einer geheiligten und einer Volkssprache, der Hieroglyphe und der Kunst, des Salomo und des Phidias.
    Übergeht man die vielen hierüber anzuführenden Beweise und Einwürfe, kann man das Gesagte in folgendem summarisch zusammenfassen: Die Architektur war bis zum fünfzehnten Jahrhundert das Hauptbuch der Menschheit; in dieser Zeit fand sich kein noch so verwickelter Gedanke, der nicht zum Gebäude ward; jede Volksidee, jedes Religionsgesetz erhielt ein Denkmal; das Menschengeschlecht hat nie einen wichtigen Gedanken gehegt, ohne ihn durch Stein zu schreiben. Warum? Jeder Gedanke will sich fortpflanzen; eine Idee, welche die eine Generation aufregte, will so auch bei andern wirken und Spuren zurücklassen. Wie wenig sicher ist die Unsterblichkeit des Manuskripts! Ein Gebäude ist ein festeres, dauernderes Buch, das der Zeit widersteht. Ein Türke und eine Fackel genügen, geschriebenes Wort zu vernichten; nur eine Revolution der Gesellschaft und der Erde vermag das gebaute Wort niederzureißen. Die Barbaren schritten über das Kolosseum, die Sintflut vielleicht über die Pyramiden hinweg.
    Im fünfzehnten Jahrhundert änderte sich alles. Der menschliche Geist entdeckte nicht allein ein dauerhafteres, sondern auch einfacheres Mittel, sich fortzupflanzen. Die Architektur wurde entthront. Auf des Orpheus steinerne Schrift folgte die bleierne Gutenbergs. Der Buchstabe tötet den Stein.
    Die Erfindung der Buchdruckerkunst ist das größte Ereignis der Geschichte, die Mutter der Revolutionen. Sie ist eine gänzlich neue Ausdrucksweise des Menschengeschlechts, eine neue Form, in die der menschliche Gedanke sich hüllt, nachdem er die alte abgeworfen, eine vollkommene Hautveränderung der symbolischen Schlange, die seit Adam den Geist darstellt.
    Unter der Form der Buchdruckerkunst ist der Gedanke dauerhafter als jemals, flüchtig, unerreichbar, unzerstörbar. Vom Festen ging er in das Lebenszähe über; von der Dauer zur Unsterblichkeit. Eine Masse kann man niederreißen; vermag man etwas, das überall sich findet, auszurotten? Kommt die Sintflut, so ist der Berg schon lange in den Fluten verschwunden, während die Vögel noch umherflattern, und schwebt nur eine Arche auf der Fläche der Wogen, so werden die Vögel auf ihr ruhen, mit ihr schwimmen, mit ihr bei dem Sinken der Flut gegenwärtig sein, und die neue, aus dem Chaos hervorgehende Welt wird erwachend über sich lebend und geflügelt den Gedanken der verschlungenen Welt schweben sehen. Erwägt man ferner, daß diese Ausdrucksweise nicht

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