Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Kampf und besiegte sie. Im siebzehnten ist sie schon Gebieterin und fest in der Herrschaft gesichert, so daß sie der Welt ein großes literarisches Jahrhundert zu schenken vermochte. Nachdem sie lange am Hofe Ludwigs XIV. geruht hatte, ergriff sie aufs neue Luthers altes Schwert; als Waffe Voltaires war es kurz und schneidend und bekämpfte das alte Europa, dessen architektonischen Ausdruck sie schon jetzt erlegt hatte. Als das achtzehnte Jahrhundert sich schloß, war alles schon zerstört; im neunzehnten begann sie den Wiederaufbau.
20. Unparteiischer Blick auf den alten Richterstand
Eine sehr glückliche Person war im Jahre der Gnade 1482 der edle Herr Robert d’Estouteville, Ritter, Herr von Beyne, Baron von Ivry und St. Andry in der Marche, Rat und Kammerherr des Königs, Wächter der Prévoté von Paris. Ungefähr vor siebzehn Jahren hatte er vom König die schöne Prévoté von Paris erhalten, die eher für ein Ritterlehen als für ein Amt angesehen wurde. Sie war ihm, wie es in dem Patentbriefe hieß, „zur Hut übergeben“, und hatte sich mit ihm so wohl vereint, daß er jener Veränderungswut glücklich entging, von der Ludwig XI. besessen war; denn dieser König, mißtrauisch, filzig und emsig im Arbeiten, befolgte den Grundsatz, durch häufige Widerrufungen und Erneuerungen, die Elastizität seiner Gewalt stets frisch zu erhalten. Allerdings war Robert d’Estouteville ein tapferer Soldat und hatte treu sein Banner gegen die Ligue des gemeinen Wohls erhoben; auch überreichte er der Königin bei ihrem Einzuge in Paris einen schönen Hirsch von Zuckerwerk. Dann war er auch ein guten Freund von Tristan l’Hermite, dem Prévot der Marschälle im Hotel des Königs. So führte denn auch der Herr Robert d’Estouteville ein bequemes und schönes Leben. Erstens hatte er ein gutes Einkommen, woran, wie noch mehr Weinbeeren an einer Traube, die Einkünfte der Zivil- und Kriminal-Kanzleien der Prévoté hingen, dann auch die Zivil- und Kriminal-Einkünfte der Gerichtsstuben des Châtelet, ohne einen kleinen Zoll an der Brücke von Mante und Corbeil und noch andere zu zählen. Auch war es nicht unbedeutend, daß er jede Gewalt über die Sergeanten der Douzaine, die sechzehn Kommissare der sechzehn Quartiere, den Gefängniswärter des Châtelet, die vier belehnten Sergeanten, die sechundzwanzig berittenen Sergeanten, die hundertundzwanzig Sergeanten mit Ruten, den Ritter der Wache mit allen seinen Leuten besaß. Auch war es nicht unbedeutend, daß er die hohe wie die niedere Gerechtigkeit übte, das Recht, an den Schandpfahl zu stellen, zu hängen und zu schleifen, ohne die niedere Gerichtsbarkeit (in prima instantia, wie die Urkunden sagen) in der Vizegrafschaft Paris mit den sieben Ämtern zu besitzen.
Trotz aller der Bewegungsgründe, sein Leben geduldig und fröhlich zu verbringen, war Herr Robert d’Estouteville am Morgen des 7. Januar 1482 mit sehr mürrischer und verdrießlicher Laune erwacht; wir sind geneigt zu glauben, er sei übler Laune gewesen, weil er eben übler Laune war. Übrigens war dies der Tag nach einem Feste, ein für alle, besonders aber für die Magistratsperson langweiliger Tag, deren Amt es ist, allen Schmutz wegzufegen, den ein Fest in Paris zurückläßt. Und dann mußte er Sitzung im Grand-Châtelet halten. Nun wissen wir ja allgemein, die Richter teilen ihre Zeit so ein, daß der Tag der Sitzung stets der Tag ihrer üblen Laune wird, damit sie immer jemanden bei der Hand haben, gegen den sie diese des Königs, des Gesetzes und der Gerechtigkeit wegen auslassen können. Dennoch hatte die Sitzung ohne ihn begonnen. Seine Stellvertreter machten, nach löblicher Sitte, seine Geschäfte ab. Der Saal war klein und niedrig gewölbt. Im Hintergrunde stand für den Prévot ein Tisch und ein leerer Sessel aus geschnitztem Eichenholz bereit, links ein Fußschemel für den Auditor, Meister Florian. Hinten saß kritzelnd der Schreiber. Vorn stand das Volk; vor der Tür und vor dem Tisch standen Beamte der Prévoté in violettem Oberkleid aus Kamelot mit weißen Kreuzen. Zwei Sergeanten des Parloir aux Bourgeois standen Schildwache vor einer geschlossenen niedrigen Tür, die man hinter dem Tisch erblickte. Ein einziges gotisches Fenster, in die dicke Mauer gezwängt, warf den matten Sonnenstrahl des Januar auf zwei groteske Figuren, auf den steinernen Teufel am Schlüssel des Gewölbes und den auf Lilien sitzenden Richter im Hintergrunde. In der Tat, denkt euch an der Prévotaltafel zwischen
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