Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Bewegung. – „Davon spreche ich nicht, Meister Jacques Charmolue, sondern ich meine den Prozeß Eures Hexenmeisters. Nicht wahr, er heißt Marc Cenaine und ist Schließer am Rechnungshofe? Gesteht er seine Magie? Hatte die Folter den gewünschten Erfolg?“
„Ach nein“, erwiderte Meister Jacques mit demselben traurigen Lächeln. „Wir haben nicht einmal den Trost. Der Mensch ist hart wie ein Kieselstein. Wir werden ihn auf dem Marché-aux-Pourceaux braten lassen, ohne daß er ein einziges Wort sagt. Wir vernachlässigen aber nichts, um zur Wahrheit zu gelangen. Seine Glieder sind schon ganz auseinandergerissen, aber alles hilft nichts. Der Mensch ist fürchterlich. Ich verliere bei ihm mein Latein.“ – „Fandet Ihr nichts Neues in seinem Hause?“ – „Ja, dieses Pergament; es stehen Worte darauf, die wir sämtlich nicht verstehen. Der Herr Kriminaladvokat versteht doch etwas hebräisch, das er bei dem Prozeß der Juden aus der Straße Kantersteen in Brüssel lernte.“
Meister Jacques entrollte ein Pergament. „Gebt her“, sprach der Archidiakonus. Er warf einen Blick darauf und sagte: „Reine Magie! Meister Jacques! Emen-Hétan! Geschrei der Hexen, wenn sie zum Sabat gehen. Per ipsum et cum ipso et in ipso, Worte, womit man den Teufel wieder zur Hölle bannt. – Hax, pax, max; eine medizinische Formel gegen den Biß toller Hunde. – Meister Jacques, Ihr seid Prokurator des Königs beim geistlichen Gerichtshofe! Dieses Pergament ist abscheulich.“ – „Gut, wir spannen ihn wieder auf die Folter. Hier ist auch noch“, fuhr Meister Jacques fort, wobei er aus der Tasche etwas hervorzog, „noch etwas, das wir bei Marc Cenaine fanden.“
„Ich gestehe Euch“, sagte Meister Jacques mit blödem und linkischem Lächeln, „daß ich sie in meinem Ofen versuchte, daß es mir aber mit dieser da nicht besser ging wie mit meiner eigenen.“
Der Archidiakonus untersuchte das Geschirr. „Was ist darauf geschrieben? Och! Och! Worte, die Flöhe verjagen. Marc Cenaine ist ein Dummkopf! Ich glaube wohl, daß Ihr damit nichts anfangen konntet! Es taugt zu nichts.“
„Weil wir nun einmal von Irrtümern sprechen“, sagte der Prokurator des Königs, „will ich Euch gestehen, daß ich, bevor ich hinaufstieg, das Portal unten beschaute. Weiß Euer Ehrwürden gewiß, das die Eröffnung des physikalischen Geheimnisses dort nach dem Hotel-Dieu zu geschrieben steht, und daß in den sechs nackten Figuren die mit geflügelten Füßen den Merkurius bedeutet?“ – „Ja“, erwiderte der Priester, „so schreibt Augustin Nypho, der italienische Doktor, in dessen Dienst ein bärtiger Teufel stand, der ihn alles lehrte. Kommt herunter, ich will Euch dann das übrige erklären.“ – „Danke, Meister“, sprach Charmolue und verneigte sich bis zum Boden. „Beiläufig gesagt, bald hätte ich die kleine Hexe vergessen. Wann soll ich sie verhaften lassen?“ – „Welche Hexe?“ – „Nun, die Zigeunerin, die trotz des Verbotes alle Tage auf dem Platze vor der Kirche tanzt. Sie hat eine vom Teufel besessene Ziege mit Satanshörnern. Diese liest, schreibt und versteht sich auf Mathematik wie Picatrix, so daß dies genügt, alle Zigeuner hängen zu lassen. Der Prozeß ist fertig und wird ihr schnell gemacht werden. Die Tänzerin ist doch, bei meiner Seele!, ein schönes Mädchen mit zwei schwarzen, schönen Augen! Wann sollen wir anfangen?“
Der Archidiakonus ward blaß wie ein Toter. – „Ich werd’ es Euch nachher sagen“, stammelte er mit fast lautloser Stimme. Dann begann er wieder mit sichtlicher Anstrengung: „Bekümmert Euch um Marc Cenaine.“ – „Seid unbesorgt, ich lasse ihn wieder auf das lederne Bett schnallen. Ein verteufelter Mensch! Er ermüdet sogar den Pierrat-Torterue, der noch gröbere Hände hat als ich. Er soll auf die Windelfolter, das ist die beste, die wir haben.“
Dom Claude schien in düstere Zerstreuung versunken zu sein. Er wandete sich zu Charmolue: „Meister Pierrat … Meister Jacques wollte ich sagen, bekümmert Euch doch um Marc Cenaine.“ – „Ja, ja, Dom Claude, der arme Mann! Er hat gelitten wie Mummol. Warum ging er aber zum Sabbat! Ein Türschließer des Rechnungshofes sollte den Text Karls des Großen: Vel stryga vel masca* kennen. Hinsichtlich der Kleinen – Esmeralda, glaub’ ich, heißt sie – werde ich Eure Befehle abwarten. – Ah so, wenn wir bei dem Portale vorübergehen, erklärt mir doch auch, was der gemalte Gärtner bedeutet, den man vorn in der
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