Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Kein Ort ohne seinen Schutzgeist.
Dom Claude erwartete aber einen neuen Possen von Jehan und erinnerte seinen würdigen Schüler, sie wollten noch einige Figuren des Portals zusammen betrachten. Der Student stieß ein freudiges Ach! aus, denn er besorgte wirklich, sein Knie möge einen Abdruck seines Kinns annehmen.
29. Sieben Flüche in freier Luft und ihre Folgen
Als Meister Jehan aus seinem Loch hervorsprang, rief er laut: „Te deum laudamus! Endlich sind die beiden Nachteulen fort! Och! Hax! Pax! Max! Tolle Hunde! Der Teufel! Ich habe an ihrem Gespräch genug! Der Kopf summt mir wie ein Turm! Schimmligen Käse noch in den Kauf! Fort! Die Treppe hinab mit dem Beutel meines Bruders, um alle Münzen in Wein zu verwandeln!“
Er warf einen Blick der Zärtlichkeit und Bewunderung in das Innere des köstlichen Geldbeutels, brachte seinen Anzug wieder in Ordnung, putzte an seinen Stiefeln, stäubte seine von Asche grauen Ärmel ab, pfiff ein Lied, schlug eine Pirouette, untersuchte, ob er noch etwas aus der Zelle forttragen könnte, steckte ein auf dem Herde liegendes gläsernes Amulett zu sich, um es seiner Isabeau-la-Thierrye als Edelstein zu schenken, und öffnete endlich die Tür, die seines Bruders letzte Nachsicht offengelassen hatte, ließ sie seinerseits aus letzter Bosheit ebenfalls offenstehen und hüpfte dann wie ein Vogel die Wendeltreppe hinab. Als er unter auf dem Platze stand, stieß er mit dem Fuß gegen den Boden. „Oh!“ rief er, „du gutes ehrbares Pflaster von Paris. Verfluchte Treppe, die Engel von Jakobs Leiter außer Atem zu bringen!“
Er tat einige Schritte und erblickte die beiden Nachteulen d. h. Dome Claude und Meister Jacques Charmolue, wie sie ein Schnitzwerk am Portal beschauten. Er trat auf den Fußzehen an sie heran und hörte, wie sein Bruder sagte: „Guillaume von Paris hat diesen Hiob auf den Stein von blauer Farbe mit vergoldetem Rade graben lassen. Hiob stellt den Stein der Weisen dar, der auch erprobt und Märtyrer werden muß, bis er zur Vollkommenheit gelangt, wie Raymundus Lullus sagt: Sub conservatione formae specificae salva anima.“*
* Lateinisch: Bei Bewahrung einer eigenartigen Form eine unversehrte Seele.
Das gilt mir gleich, dachte Jehan, ich habe die Börse.
In dem Augenblick vernahm er, wie eine starke tieftönende Stimme eine furchtbare Reihe von Flüchen ausstieß: „Gottes Blut! Gottes Bauch! Gottes Leib! Beelzebubs Nabel! Bei des Papstes Namen! Strick und Donnerwetter!“
Jehan rief aus: „Bei meiner Seele, das muß mein Freund der Hauptmann Phoebus von Chateaupers sein.“
Der Name Phoebus gelangte zu den Ohren des Archidiakonus in dem Augenblick, als er dem Prokurator des Königs den Drachen erklärte, der seinen Schwanz in ein Bad steckt, woraus Rauch und ein Königskopf emporsteigt. Dom Claude zitterte, unterbrach seine Erklärung zum großen Staunen seines Schülers, kehrte um und sah seinen Bruder Jehan, der an der Tür des Hotels Gondelaurier auf einen Offizier zuging.
Der war wirklich der Hauptmann Phoebus von Chateaupers. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Ecke des Hauses seiner Braut und fluchte wie ein Heide.
„Meiner Treu! Hauptmann Phoebus“, sagte Jehan und faßte ihn bei der Hand. „Ihr flucht mit bewundernswürdiger Geläufigkeit.“
„Hörner und Donnerwetter!“ erwiderte der Hauptmann.
„Hörner und Donner Ihr selbst!“ antwortete der Student. „Schöner Hauptmann, was ist der Grund für diesen Überfluß an schönen Worten?“
„Verzeiht, guter Kamerad Jehan“, sagte Phoebus, ihm die Hand schüttelnd. „Ein Pferd kann im Galopp nicht anhalten. Nun fluchte ich im stärksten Galopp. Ich komme von den Zierpuppen dort, und so oft ich aus dem Hause gehe, ist mir die Kehle voll von Flüchen. Ich muß sie ausspeien oder ersticken. Donner und Wetter!“
„Wollen wir trinken?“ sagte der Student.
Dieser Vorschlag besänftigte den Hauptmann. – „Oh ja, aber ich habe kein Geld.“ – „Ich habe Geld.“ – „Wo? Zeig‘ her.“
Jehan breitete mit Majestät und Würde vor den Augen des Hauptmanns den Beutel aus. Unterdessen hatte der Archidiakonus den erstaunten Prokurator verlassen, blieb einige Schritte vor ihnen stehen und beobachtete beide, ohne daß sie es bemerkten, so sehr waren sie in der Betrachtung des Beutels vertieft.
Phoebus rief aus: „Eine Börse in deiner Tasche, Jehan, ist wie der Mond im Eimer Wasser. Man sieht ihn, aber er ist nicht da. Bei Gott. Ich wette, du hast nichts als Kieselsteine
Weitere Kostenlose Bücher