Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
seinen Schülerjahren die Gewohnheit geblieben, nie an der Fassade vorüberzugehen, ohne der Statue des Kardinals Bertrand, die rechts am Portale stand, den Schimpf zu erweisen, worüber Priapus in der Horazischen Satire: Olim truncus eram ficulnus* sich so bitter beklagt. Hierbei blieb er mit solcher Hartnäckigkeit, daß die Inschrift Eduensis episcopus fast erloschen war. Er blieb also, wie gewöhnlich, vor der Statue stehen. Die Straße war ganz einsam. Im Augenblick, wo er nachlässig seine Nesteln wieder zuknüpfte, sah er, wie der Schatten mit so langsamen Schritten auf ihn zuging, daß er mit Muße beobachten konnte, jener trage einen Hut und einen Mantel. Als er ihm nahe war, blieb dieser stehen, und zwar unbeweglicher als die Statue des Kardinals Bertand; Phoebus aber sah aus des Gespenstes Augen ein Licht strömen, gleich dem Schein, den im Dunkel ein Katzenauge wirft.
* Einst war der Strunk ich eines Feigenbaums.
Der Hauptmann war tapfer und hätte sich um einen Räuber mit dem Stoßdegen in der Hand wenig bekümmert; allein diese wandelnde Statue, dieser steinerne Mensch erfüllte ihn mit Schauder. Damals sprach man in Paris von einem Gespenst, das des Nachts in den Straßen umherstriche; ein solcher Gedanke kam dem Hauptmann in den Sinn. Einige Augenblicke stand er erschrocken da, dann bemühte er sich, zu lächeln, und sagte: „Mein Herr, seid Ihr ein Dieb, wie ich hoffe, so geht es Euch wie dem Reiher, der die taube Nuß ergreift. Mein Lieber, ich bin der Sohn einer zugrunde gerichteten Familie. Ich rate Euch, seitwärts zu gehen. Dort in der Kapelle liegt ein Stück vom wahren Kreuz in silberner Kapsel.“
Die Hand des Gespenstes kam unter dem Mantel hervor und packte mit der Kraft einer Adlerklaue den Arm des Hauptmanns. Zugleich fing auch das Gespenst an zu sprechen.
„Hauptmann Phoebus von Chateaupers!“ – „Was, Teufel! Ihr wißt meinen Namen?“ – „Ich weiß noch mehr als Euern Namen“, erwiderte der Mann im Mantel mit einer Grabesstimme; „heut’ abend habt Ihr ein Stelldichein.“ – „Ja“, antwortete Phoebus erstaunt. – „Um sieben Uhr.“ – „In einer Viertelstunde.“ – „Bei dem Weibe Falourdel.“ – „Ja.“ – „Frevler“, murmelte das Gespenst, „mit einer Frau!“ – „Confiteor.“* – „Sie heißt …“ – „Smeralda“, sagte Phoebus heiter; denn seine ganze muntere Sorglosigkeit kehrte allmählich zurück. Bei dem Namen schüttelte die Kralle den Arm des Hauptmanns mit Wut. – „Hauptmann Phoebus von Chateaupers, du lügst!“
* Lateinisch: Ich gestehe es.
Wer in diesem Augenblick das entflammte Antlitz des Hauptmanns und seinen Sprung rückwärts, der so heftig war, daß er sich von der Zange losriß, die stolzen Züge, als er die Hand auf den Degen legte, den heftigen Zorn vor der düsteren Unbeweglichkeit des Mannes im Mantel geschaut hätte, wäre sicherlich vor Schrecken erstarrt. Die Szene glich dem Kampfe Don Juans mit der Statue.
„Christ und Satan!“ rief der Hauptmann. „Das Wort vernimmt selten das Ohr eines Chateaupers! Wage es nicht zum zweitenmal!“
„Du lügst!“ sagte kalt das Gespenst.
Der Hauptmann knirschte mit den Zähnen. Popanz, Gespenst und Aberglauben hatte er in dem Augenblick vergessen. Er sah nur einen Mann und eine Beleidigung. „Ha, das geht!“ stammelte er mit einer vor Zorn erstickten Stimme. Er zog den Degen und rief stotternd (denn auch der Zorn erweckt Zittern wie die Furcht): „Hier! Sogleich! Zieh den Degen! Den Degen! Blut aufs Pflaster!“ Der andere aber rührte sich nicht. Als er seinen Gegner in Fechtstellung sah, sprach er mit bitterer Stimme: „Hauptmann Phoebus, Ihr vergeßt Euer Stelldichein.“
Die Aufwallungen von Menschen wie Phoebus gleichen der Milchsuppe, deren Blasen nach einem Tropfen kalten Wassers verschwinden. Dies bloße Wort senkte den Degen, der in des Hauptmanns Hand blitzte. – „Hauptmann“, fuhr der Mann fort, „morgen, übermorgen, in einem Monat, in zehn Jahren findet Ihr mich bereit, Euch den Hals abzuschneiden. Zuerst aber geht Eurem Stelldichein nach.“
„Wirklich?“ sagte Phoebus, als suche er mit sich selbst zu kapitulieren. „Nichts ist schöner, als in einem Stelldichein ein Mädchen und einen Degen zu treffen; allein ich sehe nicht ein, warum ich das eine für das andere hingeben sollte, da ich sie beide haben kann.“
Mit diesen Worten steckte er den Degen ein. – „Geht doch zu Eurem Stelldichein“, sagte der Unbekannte. –
Weitere Kostenlose Bücher