Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
anmutiger, munterer Kinderei. „Nein, nein, ich höre nicht länger. Liebt Ihr mich? Ich will, daß Ihr mir sagt, ob Ihr mich liebt.“
„Ich liebe dich, Engel meines Lebens!“ rief der Hauptmann niederkniend. „Mein Leben, mein Blut, meine Seele, alles ist dein, alles ist dein. Ich liebe dich. Ich habe nie zuvor geliebt!“
Der Hauptmann hatte in mancher ähnlichen Lage so häufig diese Phrase wiederholt, daß er sie in einem Atem ableierte, ohne auch nur einen Gedächtnisfehler zu begehen. Bei dieser leidenschaftlichen Erklärung richtete die Zigeunerin einen Blick voll Engel-Seligkeit auf die schmutzige Decke, die ihr statt des Himmels diente.
„Ach“, sprach sie leise, „dies sollte der Augenblick des Sterbens sein!“ Phoebus hielt aber „den Augenblick“ für passend, ihr einen neuen Kuß zu rauben, der den unglücklichen Priester aufs neue peinigte.
„Sterben!“ rief der verliebte Kapitän. „Was sagst du da, schöner Engel? Du sollst leben, oder Jupiter ist nur ein Straßenjunge. Sterben im Beginn so vieles Süßen! Gottes Horn, welch ein Scherz! – Höre, liebe Similar … Esmenarda … Verzeihung! Ihr führt aber einen so sarazenischen Namen, daß ich meine Zunge dabei verwickle.“
„Gott“, rief das arme Mädchen, „und ich glaubte, mein Name sei so schön wegen seiner Eigentümlichkeit! Weil er Euch aber mißfällt, möchte ich Goton heißen.“
„Oh, weine nicht um solche Kleinigkeit, meine Anmutige! Ich muß mich daran gewöhnen. Es ist ja weiter nichts. Sobald ich ihn auswendig weiß, wird’s von selbst gehen. Ich liebe Euch ganz erstaunlich und kenne eine Kleine, die vor Neid vergeht …“
Das eifersüchtige Mädchen ließ ihn nicht ausreden. „Wer? …“ – „Was kümmert das uns! Liebst du mich?“ – „Oh! …“ – „Nun, das ist genug. Du sollst sehen, wie ich dich auch liebe. Der Teufel Neptun soll mich auf seine Gabel spießen, wenn ich dich nicht zum glücklichsten Geschöpf auf der Welt mache. Wir wollen irgendwo ein niedliches Zimmer mieten und ich lasse dann meine Leute vor deinem Fenster paradieren. Sie sitzen alle zu Pferde und stechen die des Hauptmanns Mignon aus.“
Seit einigen Augenblicken träumte das Mädchen, in süße Gedanken versunken, dem Schall seiner Stimme nach, ohne den Sinn seiner Worte zu verstehen.
„Oh wie glücklich wirst du sein!“ fuhr der Hauptmann fort und löste zugleich den Gürtel der Zigeunerin. – „Was tut Ihr da?“ sprach sie heftig. Dieser tatsächliche Versuch riß sie aus ihrer Träumerei.
„Nichts“, sagte Phoebus, „ich meine nur, du mußt diese närrische Straßentoilette aufgeben, wenn du bei mir bist.“ – „Wenn ich bei dir bin? Mein Phoebus!“ sprach sie zärtlich und versank wieder in ihr Sinnen.
Der Hauptmann, durch ihre sanfte Zärtlichkeit ermutigt, umfaßte wieder, ohne daß sie Widerstand leistete, ihre Hüften; dann löste er sacht das Mieder des armen Mädchens und verschob ihr Halstuch so geschickt, daß der knirschende Priester bald die schöne, nackte, runde Schulter der Zigeunerin erblickte. Das junge Mädchen ließ Phoebus gewähren und schien dies alles nicht zu bemerken. Das Auge des kühnen Hauptmanns funkelte. Plötzlich wandte sie sich ihm zu. „Phoebus“, sprach sie mit dem Ausdruck unendlicher Liebe, „unterrichte mich doch in deiner Religion.“
Der Hauptmann brach in ein lautes Gelächter aus. „Was! Ich soll dich in meiner Religion unterrichten? Satans Horn und Donnerwetter! Was willst du mit meiner Religion anfangen?“ – „Damit wir heiraten können.“
Das Gesicht des Hauptmanns nahm einen Ausdruck an, der aus Erstaunen, Verachtung, Sorglosigkeit und Liederlichkeit gemischt war. – „Ah bah! Wozu sollen wir heiraten?“
Die Zigeunerin wurde blaß und ließ ihr Haupt auf den Busen sinken. – „Schöne Geliebte“, begann Phoebus aufs neue, „wozu die Torheit? Die Ehe ist etwas Absonderliches! Liebt man weniger, weil einem kein Pfaff Latein in die Bude spie?“ Indem er so mit sanfter Stimme sprach, rückte er der Zigeunerin ganz nah, seine liebkosenden Hände umfaßten wieder ihren feinen, schlanken Wuchs, sein Auge flammte immer mehr und mehr, und alles verkündete, daß Herr Phoebus einem der Augenblicke ganz nahe war, worin Jupiter selbst so viele Dummheiten beging, daß der gute Homer eine Wolke zu Hilfe rufen mußte.
Dom Claude sah alles. Der breitschultrige braune Priester, bis dahin an die strenge Jungfräulichkeit des Kloster gewöhnt, kochte und
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