Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Scheiben, horchte und stampfte mit dem Fuße. Endlich tat sich die Tür der Schenke auf. Darauf schien er gewartet zu haben. Zwei Trinker traten heraus. Ein aus der Tür dringender Lichtstrahl zeigte den Purpur ihrer munteren Gesichter. Der Mann im Mantel stellte sich beobachtend unter die Halle eines Hauses auf der anderen Straßenseite.
„Horn und Donner!“ sagte einer der beiden Trinker. „Schon sieben Uhr! Das ist die Stunde meines Stelldicheins.“ – „Ich sage dir“, sprach sein Gefährte mit lallender Zunge, „ich wohne nicht in der Straße Böse Worte, Indignus qui inter mala verba habitat.* Ich wohne Rue Jean-Pain-Mollet, in vico Johannis Pain-Mollet. – Du bist gehörnter als ein Einhorn, wenn du das Gegenteil sagst. – Jeder weiß, daß, wer einmal auf den Bären steigt, keine Furcht hat; aber deine Nase dreht sich zur Leckerei, wie St. Johann vom Hospital.“
* Lateinisch: Unwürdig, wer unter bösen Worten wohnt.
„Jehan, mein Freund, du bist betrunken“, sagte der andere. – Dieser antwortete taumelnd: „Phoebus, so beliebt es dir zu sagen, allein es ist bewiesen, Plato hatte das Profil eines Jagdhundes.“
Der Leser hat wahrscheinlich schon unsere beiden Freunde, den Studenten und den Hauptmann, erkannt. Auch der Mann, der sie im Dunkel beobachtete, schien sie erkannt zu haben; denn er folgte langsam jedem Zickzack, den der Hauptmann um des Studenten willen einschlagen mußte; denn jener, ein gewohnter Trinker, war durchaus kaltblütig geblieben. Der Mann im Mantel hörte so aufmerksam auf ihre Worte, daß er folgendes fesselnde Gespräch gänzlich erhaschen konnte.
„Zum Teufel! Bemüht Euch doch gerade zu gehen, Herr Baccalaureus! Ihr wißt, ich muß Euch verlassen; es ist sieben Uhr; ich habe ein Stelldichein mit einem Mädchen.“ – „Laßt mich doch! Ich sehe Sterne und feurige Lanzen! Ihr seid wie das Schloß Dampmartin, das vor Lachen platzt.“ – „Bei den Warzen meiner Großmutter, Jehan! Ihr schwatzt zuviel Unsinn. Beiläufig gesagt, Jehan, hast du noch Geld?“ – „Herr Rektor, das kleine Blutvergießen ist nicht meine Schuld.“ – „Jehan, lieber Jehan, du weißt, ich habe die Kleine auf die Brücke St. Michel bestellt und kann sie nur zur Falourdel führen, und die alte Hure mit dem weißen Schnurrbart gibt mir keinen Kredit. Jehan, bitte, sag’, haben wir die ganze Börse des Pfaffen vertrunken? Ist kein Sou mehr drin?“ – „Das Bewußtsein, seine Zeit nützlich verwendet zu haben, ist eine gerechte und süße Wurzel der Tafel.“ – „Bauch und Gendarm! Laß die Possen! Jehan des Teufels! Hast du noch Geld? Gib, bei Gott, oder ich räume dir die Taschen aus, und wärst du aussätzig wie Hiob und krätzig wie Cäsar!“ – „Herr, die Straße Galiache liegt unten an den Straßen Verrerie und Tixeranderie.“ – „Jawohl, guter, lieber Jehan! Armer Kamerad, sehr wohl! Ganz richtig! Aber in Gottes Namen, komm wieder zu dir. Ich brauche nur einen Sou, und es ist gleich sieben Uhr.“ – „Still! Still! Hör zu!“ und Jehan trällerte ein Lied:
Dem König wird Arras dann erliegen,
Wann Ratten über Kater siegen.
Ist am Johannistag das Meer
Von Eis gepanzert ringsumher,
Wird auf dem Eis der Bürger Schar
Arras verlassen Paar bei Paar.
„Student des Antichrist! Magst du erdrosselt werden mit den Kaldaunen deiner Mutter!“ rief Phoebus aus und stieß den betrunkenen Studenten weg, der gegen die Mauer taumelte und auf das Pflaster Philipp Augusts sanft hinsank. Der Hauptmann fühlte noch einiges brüderliches Mitleid, das nie aus dem Herzen des Trinkers weicht, rollte Jehan auf die Seite und legte sein Haupt auf einen Kehrichthaufen. In diesem Augenblick begann der Student in prächtigem Baß zu schnarchen. Der Mann im Mantel, der den beiden unaufhörlich gefolgt war, blieb einen Augenblick vor dem Studenten stehen, unentschlossen; dann stieß er einen tiefen Seufzer aus und entfernte sich, dem Hauptmann zu folgen.
Als dieser in die Straße St. André-des-Arcs einbog, bemerkte er, daß ihm jemand folgte. Zufällig hatte er die Augen zurückgewandt und erblickte eine Art Gespenst, das die Mauer entlang hinter ihm herkroch. Er blieb stehen, das Gespenst blieb stehen. Er wandelte weiter, das Gespenst wandelte weiter. Aber das machte ihm keine Sorgen. „Ah bah!“ sagte er, „ich habe keinen Heller.“ Vor der Fassade des Kollegiums von Autun machte er Halt. In dieser Schule hatte er vollbracht, was er seine Studien nannte, und es war ihm von
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