Der Glucksbringer
irgendeinem magischen Zauber versehen hatte?« Linda unternahm erst gar nicht den Versuch, ihren Zynismus zu überspielen. »Du machst wohl Witze, Mum. Wir leben in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Und da glauben die Leute nicht mehr an solchen Hokuspokus. Das Ganze war bloß«, sie suchte nach einer plausiblen Bezeichnung, »eine Verkettung von Zufällen.«
»Meinst du?« Jenny lächelte nachsichtig.
»Na klar. Was sonst?«, behauptete Linda mit Nachdruck. Sie jedenfalls glaubte nicht an Zauberei und schwarze Magie. Wie konnte ihre Mum solchen Schwachsinn für bare Münze nehmen? Jenny war doch sonst eine intelligente, moderne Frau, und da plapperte sie irgendwelchen Unsinn von mystischen Kräften und so? Geradezu grotesk, aber Linda war höflich genug, sich einen diesbezüglichen Kommentar zu verkneifen.
»Sieh es, wie du willst, Schätzchen, trotzdem bleibt die Brosche hier.« Jenny packte sie kurzerhand wieder in ihr Etui und legte sie zu dem anderen Schmuck. »Such dir meinetwegen was anderes aus, was zu deinem Halsband passt. Okay?«
»Okay, Mum.« Linda stand auf und verzog sich in ihr Zimmer, wo sie das Kostüm auszog und zurück auf den Bügel hängte. Sie streifte einen roten Lederminirock über und ein gestreiftes Top. Die Brosche ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Es war ein ausnehmend hübsches und ungewöhnliches Schmuckstück. Dass ihr Großvater es seiner späteren Frau Corinne als Zeichen seiner tief empfundenen Liebe geschenkt hatte, machte es zu etwas Besonderem, ungeachtet der Tatsache, dass auf der Rückseite irgendein Unsinn eingraviert war. Ohne groß nachzudenken, schnappte Linda sich einen Zeichenblock und skizzierte das Aussehen der Brosche aus dem Gedächtnis nach. Das machte sie schon seit etlichen Jahren, wann immer ihr die Idee zu einem Schmuckentwurf kam. Sie bewahrte diese Zeichnungen in einer Sammelmappe auf. Als sie sämtliche Details festgehalten hatte und mit dem Ergebnis zufrieden war, riss sie den Bogen vom Block und legte ihn in den Ordner auf die anderen Skizzenblätter.
Die Aula der University of New South Wales konnte bequem achthundert Menschen aufnehmen, indes drängten sich dort anlässlich des weithin beliebten Kostümballs schätzungsweise mehr als tausend Gäste. Es war ein Kaleidoskop aus Farben und Verkleidungen, von einfallsreichen über abgedroschene Kostüme bis hin zu langweiliger Kaufhauseinheitsware. Die Bands spielten wild und laut, Alkohol gab es reichlich, am Büfettnachschub
haperte es – mit dem Ergebnis, dass etliche Studenten schon vor Mitternacht sturzbetrunken schlappmachten.
Tony und Linda saßen an einem Tisch mit ihren Kommilitoninnen, ihrer besten Freundin Alison, Samantha, Kate und ihren jeweiligen Partnern. Harriet hatte sich ebenfalls an ihren Tisch gezwängt. Weshalb, war Linda schleierhaft. Bei dem ohrenbetäubenden Krach konnte man sein eigenes Wort nicht verstehen!
Samantha, einen Arm besitzergreifend durch den ihres Verlobten geschlungen, sagte in einer Musikpause zu Linda: »Dein Outfit sieht toll aus. Mit der coolen Zigarettenspitze, dem Halsband und den scharfen Handschuhen – echt klasse.«
»Danke.« Lindas Blick glitt von einem zum anderen. »Ich finde, wir sehen alle super aus.« Bis auf Harriet und Bob, ihren Partner, die sich als ägyptische Mumien in zig Meter Stoffstreifen eingewickelt hatten. Wie einfallslos und öde. Natürlich sahen sie und Tony am besten aus, nicht zuletzt, weil ihre Kostüme passend aufeinander abgestimmt waren. Das sagte sie freilich nicht laut.
Harry Boskovich, einer ihrer Studienkollegen, kam an den Tisch und holte sie zum Tanzen. Sie glitten auf die Tanzfläche, wo sie richtig losfetzten.
Tony, der sie heimlich beobachtete, räumte zähneknirschend ein, dass Harry... Dingsda ein begnadeter Rock-’n’-Roll-Tänzer war. Der Junge hatte den Rhythmus im Blut. Er selbst konnte den schnellen, hektischen Tänzen nicht viel abgewinnen; er mochte langsame Musik und tanzte gern eng umschlungen mit Linda. Sie dagegen stand auf dieses wilde Zeugs und ließ keine Gelegenheit aus, mit anderen Typen abzurocken. Heute
Abend war ihm das gar nicht so recht, gleichwohl ließ er sich nichts anmerken. Zumal es fantastisch aussah, wie seine Freundin zu den heißen Beats herumwirbelte. Was ihm nicht behagte, war die Vertraulichkeit, mit der Harry sie führte. Ein Muskel in seiner Kinnpartie zuckte verräterisch. Verdammt, der Kerl war wohl lebensmüde, sie so anzutatschen!
Um halb zwei in der
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