Der Glucksbringer
Früh machten die Nachtschwärmer den Abflug. Tony und Linda liefen zu seinem MG, um das kurze Stück zum Centennial Park zurückfahren.
»Du warst heute Abend ziemlich still«, sagte Linda und sank auf den Beifahrersitz. »Hat es dir auf dem Ball nicht gefallen?«
»Doch, doch, war schon okay«, meinte Tony beiläufig, während er in den nächsten Gang hochschaltete.
Seine einsilbige Antwort machte ihr klar, dass er den Abend bestimmt nicht besonders prickelnd gefunden hatte. »Fühlst du dich nicht gut?« Er hatte kaum etwas getrunken, am Alkohol konnte es folglich nicht liegen.
»Irrtum, ich fühle mich blendend«, versetzte er. Nach einem tiefen Atemzug korrigierte er sich: »Also, wenn du es genau wissen willst: Ich fühle mich überhaupt nicht gut.« Nach einem flüchtigen Seitenblick zu ihr heftete er seine Augen wieder auf die Straße. »Ich bin sauer. Stinksauer, um ehrlich zu sein.«
»Weswegen?«, erkundigte sie sich und stutzte. »Etwa wegen mir?«
»Ja. Obwohl wir fest zusammen sind, lässt du keine Gelegenheit aus, mit anderen zu tanzen. Und ich stehe da wie ein Loser. Wer ist dieser Harry Bosko oder wie der Typ heißt? Der ging ja ran, als wäre der sexuelle
Notstand bei ihm ausgebrochen; verdammt nochmal, der Kerl hatte seine Finger überall.«
»Das stimmt überhaupt nicht«, wehrte sie sich augenblicklich. »Harry ist in meiner Textildesign-Klasse. Er ist ein guter Tänzer, mehr nicht. Ich kapier nicht, weshalb du dich da künstlich aufregst, Tony. Anders als ich magst du keine schnellen Tänze. Erwartest du etwa von mir, dass ich wie eine brave Ehefrau neben dir hocke, bis die Musik kommt, auf die du abfährst? Findest du nicht, dass das ganz schön egoistisch ist?«
»Egoistisch? Du findest mich egoistisch? Immerhin warst du diejenige, die keinen Tanz ausgelassen hat. Und ich saß da wie ein Idiot und konnte Däumchen drehen.«
Linda verstand die Welt nicht mehr. Wieso machte er deswegen einen Mordsaufstand? Das passte gar nicht zu ihm. Plötzlich dämmerte es ihr: Tony war eifersüchtig. Genau das war es. Aber warum? Er war vorher noch nie eifersüchtig gewesen. Womit hatte er plötzlich Probleme? Sie beschloss, das einzig Vernünftige zu tun und die Wogen zu glätten. »Tut mir wahnsinnig leid, wenn es für dich so ausgesehen hat. Das hab ich nicht gewollt. Ich dachte, du freust dich, wenn ich eine gute Zeit habe.«
»Ich dachte, wir wollten uns gemeinsam eine gute Zeit machen«, entgegnete er, sein Ton eine Spur einlenkender.
Er setzte den Blinker, steuerte in eine Parklücke und stellte den Motor aus. Er drehte sich halb zu ihr und zog sie über den unbequemen Sitz in seine Arme. »Verzeih mir, wenn ich ein bisschen aufbrausend war. Es ist nur, na ja, ich fahre bald für länger weg, und die wenige Zeit bis dahin möchte ich intensiv mit dir genießen.«
»Oh.« Sie versenkte ihren Blick in seinen und atmete mental auf. Ihre Züge entspannten sich. »Ja. Natürlich. Das will ich auch.« Sie küsste ihn. Also daher wehte der Wind. Deshalb sein sonderbares Verhalten. Warum hatte sie nicht gleich darauf getippt? »War dumm von mir. Kannst du mir noch einmal verzeihen?«
Er grinste und versiegelte ihre Lippen mit einem zärtlichen Kuss. »Mit dem größten Vergnügen.« Sie versöhnten sich bei einem langen, heißen Petting in seinem Sportflitzer, den sie nicht zum ersten Mal verfluchten, weil er so eng war. Dann fuhr er sie nach Hause.
Die Prüfungsklausuren lagen hinter ihr, und Linda hatte alles in allem ein gutes Gefühl. Sie stand an ihrem Zimmerfenster und blickte nachdenklich über die windgepeitschten Bäume auf die Straße. Draußen tobte ein heftiges Unwetter. Blitz und Donner wüteten über diesem Teil Sydneys, und so ähnlich ging es ihr auch: Sie war wütend. Seit dem Kostümball auf dem Unigelände und ihrer Auseinandersetzung mit Tony war sie emotional gespalten. Es war ihr erster und ein vergleichsweise harmloser Streit gewesen, wenn sie überlegte, was ihre Freundinnen des Öfteren so erzählten, trotzdem wirkte er sich nicht unmaßgeblich auf ihre Beziehung aus, fand Linda.
Sie hatte ihre Gefühle nicht mehr so gut unter Kontrolle wie früher. Bisher hatte sie geglaubt, sie könnte ihre Dates, den Grad der Vertraulichkeit zwischen ihnen und ihre Partnerschaft überhaupt wohl dosiert genießen. Null Erwartungshaltung, einander zu nichts verpflichtet, alles ganz locker. Inzwischen hatte sich klammheimlich ein leiser Wandel vollzogen, und Tony wollte anscheinend
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