Der Glucksbringer
was Besonderes«, wiederholte Ronaldo gedankenvoll. Gespielte Enttäuschung malte sich auf seiner Miene. »Na dann. Ist es was Ernstes?«, wandte er sich an Tony. »Hör ich da etwa schon im Hintergrund die Hochzeitsglocken läuten?«
»Grundgütiger, nein!«, warf Linda hastig ein. »Wir sind doch nicht von allen guten Geistern verlassen! Außerdem fährt Tony für ein Jahr nach Italien, und ich bin noch an der Uni. Also das H-Wort ist für uns kein Thema, oder?« Bestätigung suchend blickte sie zu Tony.
Er zuckte bloß wegwerfend mit den Achseln und wandte sich zum Gehen. »Nein, wohl eher nicht.« Erkennbar ärgerlich über Ronaldos unverhohlene Neugier, warf er seinem Cousin einen todbringenden Blick zu, packte Linda am Handgelenk und zog sie mit sich fort. »Papa und Onkel Guiseppe haben eine provisorische Bühne aufgebaut. Komm mit, wir schauen uns die Tanzgruppe mal an – sie führt Volkstänze aus Papas Heimatdorf in Bertinoro auf.«
Nach dem langen Herumstehen war Linda froh, endlich einmal sitzen zu können. Ihre Füße in den hochhackigen Pumps schmerzten höllisch. Sie plauderte mit Tonys großer Verwandtschaft und genoss das bunte Treiben. Die Familie Vincente und ihr Freundeskreis wussten sich zu amüsieren – wie viele Italiener waren sie temperamentvoll, fröhlich und ausgelassen. Aldo, ein Freund aus Deutschland, begeisterte mit Arien, die er mit seiner schönen Tenorstimme vortrug. Und nachdem zwei junge Mädchen in traditionellen Trachten einen Volkstanz aus Norditalien aufgeführt hatten, gelobten sich Maria und Marco Vincente vor ihrem Gemeindepfarrer, Pater di Maggio, erneut eheliche Treue. Linda, die nicht besonders sentimental war, fand die Zeremonie trotzdem anrührend, weil Tonys Eltern sich augenscheinlich noch immer innig liebten.
Im Stillen verglich sie die ungezwungene Feier bei den Vincentes mit der exklusiven, professionell durchgestylten Verlobungsparty, die sie bei Samantha und ihrem Verlobten Dr. Terry Quinn erwartete. Vermutlich würde es dort stinkvornehm zugehen, der Champagner in Strömen fließen. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Da gefiel ihr das heutige Fest unendlich besser. Mit einem Mal wurde Linda seltsam nervös. Sie schluckte unbehaglich, ihre Kehle war plötzlich staubtrocken. Dieses ganze Brimborium um Gefühle, Liebe und Heiraten. Sie mochte es nicht zugeben, aber irgendwie bekam sie bei dem Thema Komplexe. Woran mochte das liegen?
Hatte sie Probleme mit dem Heiraten, weil sie sich unbedingt ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit bewahren wollte? Weil sie es scheute, Verantwortung zu übernehmen, nicht wirklich akzeptieren mochte, dass
sie erwachsen war? Eine Flut von Überlegungen stürmte auf sie ein. Schlicht und ergreifend: Sie war noch nicht bereit dazu. Es gab jede Menge spannender Dinge, die ihr momentan wichtiger waren als der Mann fürs Leben. Sie musste noch ihr Studium beenden, dann wollte sie in der Welt herumreisen und sich nachher einen interessanten Job als Schmuckdesignerin suchen, um irgendwann das Management von Westaways Jewellers zu übernehmen. Ihr Vater fand es höchst erfreulich, dass sie die Gene ihres Großvaters geerbt und ein Faible für gutes Design hatte. Damit war die Nachfolge in ihrem Familienunternehmen gesichert.
Tief in Gedanken, merkte sie zunächst gar nicht, dass Tony zu ihr schlenderte und sich neben sie setzte. Er legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie sanft. »Alles okay mit dir? Amüsierst du dich gut? Verzeih mir, dass ich mich viel zu wenig um dich kümmere, aber Papa ist sehr anstrengend. Alle müssen nach seiner Pfeife tanzen. Er hat sich freilich in den Kopf gesetzt, dass dieser Tag perfekt werden soll.«
»Schon verziehen. Und es ist alles perfekt, richte ihm das von mir aus, ja? Allerdings ist mir aufgefallen, dass deine Brüder Nicky und Joe sich offenbar nicht darum reißen, ein bisschen mit anzupacken.«
Er zuckte wegwerfend mit den Schultern. »So was nennt man Familienordnung. Der Älteste macht die ganze Arbeit, und die Jüngeren amüsieren sich. Aber das ist okay für mich.« Er streichelte ihre Wange, zeichnete mit seinem Zeigefinger zärtlich ihre Lippen nach. »Ich entschädige dich dafür, versprochen. Ach ja, was hältst du von einem Candle-Light-Dinner im Blue Grotto in Kensington? Als Wiedergutmachungsangebot, mmh?« Das Blue Grotto war ihr Lieblingsrestaurant, das sie zu
ganz besonderen Gelegenheiten aufsuchten, denn das Essen war ausgezeichnet, allerdings nicht billig.
Sie
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