Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
bestmöglichen Lösung und gab nicht auf, bevor er sie gefunden hatte. Bei dem Flughafensketch gab es einen heiklen Schnitt. Es ist die Stelle, an der sich der Geschäftsmann mit der faulen Banane in eine Fluggastbrücke verirrt und die Gelegenheit, allein zu sein, nutzen will, um die lästige Schale endlich loszuwerden. Er wirft sie heimlich zu Boden, um direkt danachauf seiner eigenen Bananenschale auszurutschen. Natürlich hat sich Loriot beim Dreh nicht wirklich fallen lassen. Ein Stuntman war nicht engagiert worden, und seine Stunts selber zu machen war nicht Loriots Sache. Also lösten wir die Szene über einen Schnitt. Oben fällt der Geschäftsmann aus dem Bild, unten landen erst seine Hand und dann er selbst in der matschigen Schale.
Beim Filmschnitt ging man früher, im Gegensatz zum heutigen Computerschnitt, wo die Bilder nur noch virtuell als Daten zur Verfügung stehen, folgendermaßen vor: Man spielte den Film bis an die Stelle, an der man den Schnitt plante. Dann nahm man einen dicken weißen Fettstift und markierte auf dem Filmstreifen die ausgesuchte Stelle – direkt an der Projektionslinse des Schneidetisches. Anschließend zer schnitt man den Filmstreifen mit einer Schneidemaschine, der sogenannten »Wumme«, an der markierten Stelle. Genauso verfuhr man mit dem Teil der Szene, der an der Schnittstelle folgen sollte. Am Ende wurden die beiden Filmstreifen mit einer Art Tesafilm, wieder mittels »Wumme«, aneinandergeklebt. Dann folgte dieselbe Prozedur mit dem perforierten Tonband.
Wir betrachteten meinen ersten Schnitt des Sturzes und waren nicht unglücklich, aber vielleicht gab es ja doch noch eine Verbesserungsmöglichkeit. Also versuchten wir, den Schnitt auf der einen Seite um ein Bild, also eine 25stel Sekunde, zu verkürzen. Es wurde nicht wesentlich besser, deshalb nahmen wir von der anderen Einstellung auch ein Feld weg. Wir probierten in jede Richtung eine Verschiebung von etwa zehn Feldern aus und setzten am Ende alle Bilder einzeln wieder zusammen. Nach einigen Stunden intensiven Schneidens glaubten wir endlich die optimale Stelle für diesen schwierigen Übergang gefunden zu haben. Umso größer war unser Erstaunen, als sich an der letztendlichen Schnittstelle genau meine ursprüngliche Fettstiftmarkierung fand. Wir waren exakt wieder am Anfang gelandet, bei meinem ersten Schnitt,und dabei blieb es. Ich war schon stolz, die beste Variante gleich im ersten Anlauf gefunden zu haben, aber die Stunden des Ausprobierens und der Unsicherheit gehörten bei Loriot immer zum Arbeitsprozess. Es war ja nicht ausgeschlossen, dass wir eine noch schönere Lösung hätten finden können.
Auch ein Meister wie Loriot war nie frei von Zweifeln. Selbst auf dem Höhepunkt seiner Popularität bekannte er öffentlich, seiner Sache nie ganz sicher zu sein, besonders nicht in den Fällen, wo es hinterher funktioniert hat. Er war überzeugt davon, dass der Zweifel dazugehört, wenn man etwas erreichen will: »Ich misstraue dem Erfolg ohne Zweifel.«
Auffallend war, dass Loriot elegante, quasi unmerkliche Bewegungsschnitte nicht mochte. Das, worum sich Cutter in der Regel bemühen, hätte seinen Figuren das ungelenk Komische genommen, aber genau darum ging es ihm. Der Schnitt sollte eben gerade ungelenk komisch sein, er sollte den Rhythmus, das Timing der Komik bestimmen. So schnitten wir nur selten mitten in Bewegungen, sondern meist in Momenten der Ruhe – vor oder nach der Bewegung oder der Geste eines Schauspielers. Rein schnitttechnisch war das fast eine Sünde, der Komik half es.
Loriots Großzügigkeit war enorm. Als ich einmal durch eine Unachtsamkeit ein empfindliches Teil des Schneidetisches kaputt gemacht hatte, litt ich Qualen, wie ich es ihm beibringen sollte. Ich rang mich durch und gestand ihm, dass ich beim Versuch, den teuren Spiegel (der das Licht vom Filmstreifen auf die Mattscheibe lenkte) zu putzen, die aufgedampfte Spiegeloberfläche zerstört hatte. Er quittierte die kleine Katastrophe mit einem souveränen Lächeln und bestellte den Service, um den Spiegel reparieren zu lassen. Kein Vorwurf, keine Belehrung, er tat das Nötige, damit wir weiterarbeiten konnten.
Neben dem Schnitt und der Planung sowie Auflösung der Studioteile waren diese zwei Wochen für mich aber auch persönlich von großer Bedeutung. Loriot und ich stellten, außer der Musik, schnell weitere Gemeinsamkeiten fest. Unter anderem entdeckten wir eine ähnliche Zuneigung zu unserer Berliner Heimat und ihrem
Weitere Kostenlose Bücher