Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
Akt
Für mich folgten hektische Wochen in Berlin, in denen ich hauptsächlich den immer näher kommenden Dreh meines Abschlussfilms vorbereitete. Mitte Juli flog ich dann endlich nach München. Loriot holte mich persönlich am Flughafen ab, der noch in Riem lag, im Osten der Stadt.
Auf dem Weg nach Ammerland besuchten wir zunächst Elvira Ochoa, die argentinische Komponistin von Loriots Wum-Song »Ich wünsch’ mir ’ne kleine Miezekatze« und anderen. Elvira arbeitete als Assistentin des großen Karl Richter, der als der bedeutendste Bach-Dirigent seiner Zeit galt und in München seinen eigenen Chor und sein eigenes Orchester leitete. In ihrer Wohnung bewahrte sie das kostbare Cembalo des Maestro auf. Staunend betrachtete ich das Instrument, das ich von Schallplattenaufnahmen her kannte. Schon wieder stand, gleich zu Beginn meines Aufenthalts, die Musik im Mittelpunkt. Und ich durfte sogar auf dem Cembalo spielen. Bei meinem ersten Besuch in Ammerland hatte ich mich zu Loriots großem Vergnügen ab und zu an sein weiß lackiertes Klavier gesetzt und gespielt. Jetzt wollte er mir ganz offensichtlich eine Freude machen und mir mit Richters Cembalo etwas bieten. Ich war sehr aufgeregt und spielte, glaube ich, ganz anständig einige kleine Bach-Präludien. Loriot jedenfalls freute sich, und Elvira Ochoa hatte keine Einwände.
In Ammerland bezog ich das Gästezimmer im Erdgeschoss von Loriots Haus. Diesmal nicht für drei Tage, sondern fürzwei ganze Wochen, in denen ich mich auf eine Art in die Familie aufgenommen fühlte, die mich tief berührte. Es war wie eine Reise in die Vergangenheit meiner eigenen Familie, mit dem Unterschied, dass hier alles frei war von Abgründen, wie ich sie zuhause ständig erlebt hatte.
Auch die Arbeit war sehr familiär und privat eingerichtet. Loriots ältere Tochter Bettina fungierte als meine (ungelernte) Cutterassistentin und machte ihre Sache sehr gut.
Man schnitt Filme an monströsen Schneidetischen, Schnittcomputer gab es noch nicht. Bild und Ton waren getrennt zu behandeln, die auseinandergeschnittenen Film- und Tonstreifen wurden mit weißer Tusche beschriftet und für die sofortige Verwendung an einen sogenannten Galgen gehängt, eine Holzleiste mit kleinen, kopflosen Nägeln, unter der sich ein Korb mit einem großen Samtsack befand, der das in ihn hineinhängende Filmmaterial davor schützen sollte, zu zerschrammen. Die Reste und die erst später verwendeten Szenen wurden zusammengerollt, in flache Filmkisten gelegt und ins Regal eingeordnet, viel Arbeit für die Assistentin. Loriot hatte einen speziellen umbaubaren Schneidetisch, der sowohl für 35mm- als auch für 16mm-Film verwendbar war, also das Material, das wir in Bremen benutzt hatten. Wir teilten uns das Gerät mit der Crew, die für die in 35mm gedrehten Trickfilme zuständig war.
Loriot war während des Schnitts der Sketche ständig damit beschäftigt, neue Episoden für Wum und Wendelin zu produzieren, seine Kolumne für den »Stern« zu schreiben und zu zeichnen und seinen Geschäften mit dem Züricher Diogenes Verlag nachzugehen. So konnte ich relativ autonom im Schneideraum arbeiten. Das Vertrauen, das er in mich hatte, war groß. Andererseits kannte niemand das Material so gut wie ich.
Da das Studio Loriot in unmittelbarer Nähe des Starnberger Sees lag, verbrachten wir die Mittagspausen in der Regel auf Loriots Seegrundstück, mit Picknick und Schwimmen, esblieb paradiesisch. Aber die Tage waren auch mit Arbeit angefüllt. Nach dem Abendessen auf der häuslichen Terrasse zogen wir uns meist zurück, um – wenn wir nicht Musik hörten – die Texte und die Auflösung für die noch ausstehenden Studiosketche zu besprechen. Loriot folgte hier einem Arbeitsprinzip, dem er immer treu geblieben ist. Er schrieb zwar alles selbst, brauchte aber zur Inspiration einen Sparringspartner, der ihm sehr wohl Contra geben durfte, ja, von dem er dies sogar ausdrücklich verlangte. Ich übernahm diese Rolle gern, zumal meine Vorschläge nicht selten Gehör fanden.
Einerseits genoss ich die oberbayerische Landschaft, den unglaublichen Blick auf die Alpen bei Föhn und die ständigen Strandpicknicks, andererseits empfand ich die Idylle in dem blühenden Garten beinahe als irreal. War dies hier das wahre Leben, oder war es nicht vielmehr das, was ich aus Berlin kannte? Mir waren München und Umgebung nicht fremd – ich war als Kind dort zwei Jahre zur Schule gegangen –, aber so viel Friedlichkeit und Schönheit,
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