Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
hatte, ging es diesmal noch besser. Danach gab es Schallplattengeschenke, und als Krönung gingen wir »en famille« ins »Tantris«, das angesagteste Feinschmecker-Restaurant Deutschlands mit seinem Starkoch Eckart Witzigmann. Ich gebe zu, dass mir die Vorstellung, den halben Monatslohn eines Fabrikarbeiters für ein Abendessen auszugeben, vom sozialen Standpunkt her fragwürdig erschien. Aber wie so oft erlöste mich Loriot mit einem gelungenen Scherz aus meinem inneren Zwiespalt.
Als der Weinkellner mit einer kostbaren Flasche Weißwein an unseren Tisch trat und Loriot einen Tropfen einschenkte, schaute dieser mit Kennerblick auf das Etikett der ihm hingehaltenen Flasche und nahm den Probierschluck. Gespannte Stille. Der Kellner schaute voller Erwartung auf den prominenten Gast, der mit übertriebenen Kaubewegungen den Wein »unter die Zunge« brachte. Loriot liebte es, diesen Moment auszukosten. Je länger er »kostete«, desto nervöser wurde der Kellner. Schließlich schluckte Loriot den Wein herunter, um unmittelbar darauf in einen heftigen gespielten Hustenanfall auszubrechen. Der Kellner erbleichte. Sollte etwas mit dem Wein nicht stimmen? Die Peinlichkeit trieb ihm den Schweißauf die Stirn. Doch Loriot ließ ihn nicht länger zappeln, hörte auf zu husten und erlöste den armen Mann im Frack mit einem nonchalanten »Danke, sehr gut …« Der Verwirrte goss die restlichen Gläser ein und ging erleichtert seines Wegs. Wo andere in diesem Tempel der Gaumenfreuden vor Ehrfurcht erstarrten, machte Loriot seine fast kindlich anarchischen Späße.
Onkel Stefan
Zurück in Berlin, das mich mit all seiner Realität schnell wiederhatte, kümmerte ich mich verstärkt um meine Großmutter, der es gesundheitlich sehr schlecht ging. Sie ahnte wohl, dass sie nicht mehr allzu lange leben würde, und bat mich, die unzähligen Fotoalben ihres verstorbenen Mannes an mich zu nehmen. Es war ein reicher Schatz uralter Aufnahmen, die zum großen Teil noch aus dem 19. Jahrhundert stammten. Darunter befand sich auch ein Prachtband mit Porträts aller Mitglieder des Alexanderregiments und Fotos der Messe und des Exerzierplatzes. Außerdem gab es diverse Familienalben sowie – mein Großvater war ein früher Pionier der Fotografie und entwickelte seine Abzüge sogar selbst – endlose Bilder von seinen Reisen in alle Welt.
Der Zufall wollte es, dass ich in dem Buch des Alexanderregiments Fotos von Loriots Großvater Wilhelm von Bülow fand, die Loriot noch nie gesehen hatte (»Frühjahrsparade 1892, der Tag meiner Ernennung zum Hauptmann u. Chef der 8ten Companie«). Noch erstaunlicher aber war, dass in einem Familienalbum von Loriots Onkel, dem Bruder seiner Mutter, Bilder von meinem Großvater Max von Schack auftauchten, in trauter Nachbarschaft zu Loriots Großvater mütterlicherseits, Otto von Roeder.
v. Schack (zu Pferde) und v. Bülow (zu Fuß, links), 1892
Kopie aus dem Roederschen Familienalbum: links: Max von Schack; rechts: Otto von Roeder
Rückseite der Kopie aus dem Roeder’schen Familienalbum, von Loriot beschriftet
Otto von Roeder war, wie wir erstaunt feststellten, mit meinem Großvater Max von Schack, also dem Freund und Regimentskameraden von Wilhelm von Bülow, entfernt verwandt. Wir begannen zu rechnen: Mein Großvater war der Halbbruder des Großvaters der Frau des Bruders von Loriots Mutter, also deren angeheirateter Halbgroßonkel. Der alte Schack war deshalb Loriots Urgroßonkel, woraus sich ergab, dass ich, als dessen Enkel, Loriots Onkel dritten Grades war … Noch Fragen?
Unsere Zusammenarbeit hat all das weder positiv noch negativ beeinflusst. Wir fanden die unerwartete Verwandtschaft sehr komisch, siezten uns jedoch auch nach dieser Entdeckung selbstverständlich weiter.
Meine neugewonnene Großnichte, Loriots Tochter Bettina, die in London Malerei studierte, plante im Herbst 1975 mit Freunden eine Autoreise durch die algerische Wüste, damals konnte man das noch. Da ich drei Jahre zuvor eine ähnliche Reise unternommen hatte, gab ich ihr schon im »Tantris« zwischen Hummersüppchen und pochiertem Steinbutt Tipps für die Fahrt mit einem klapprigen Citroën 2CV durch die Sahara.
Loriot war sehr besorgt um das Wohl seiner Ältesten. Deshalb rief er mich einige Wochen später in Berlin an und bat mich, auf Bettina einzuwirken, die gefährliche Reise vielleicht doch abzublasen, wohl in der irrigen Annahme, das Wort des jungen angeheirateten Großonkels wöge schwerer als das des leiblichen
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