Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
saßen und die Platten der Comedian Harmonists rauf und runter hörten, bis wir die passenden Stücke für den Zeichentrickauftritt des Sextetts gefunden hatten, allen voran »So ein Kuss kommt von allein«.
Den letzten noch lebenden Comedian Harmonist, Bob Biberti, kannte ich über meinen Vater. Biberti wohnte in Berlin, wo er allabendlich die Kneipen um den Savignyplatz unsicher machte und gern von alten Zeiten erzählte. Einmal haben wir Biberti in seiner riesigen dunklen Altbauwohnung in der Schlüterstraße besucht. Jetzt wurde er zur Knollennase, nicht die schlechteste Auszeichnung.
Eine ähnliche Ehrung erfuhr der Tierfilmer und Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek, den Loriot parodierte. Professor Grzimek war durch seine Fernsehreihe »Ein Platz für Tiere« extrem populär, jeder Deutsche kannte ihn, es war eine Herausforderung.
Loriot wurde eine schmale Nase angeklebt, er zog den für Grzimek charakteristischen gelben Pullover an, setzte eine Brille auf und nahm hinter dem Moderationstisch Platz, auf dem ein Haufen Ziegelsteine das Habitat der »Steinlaus« darstellte, die Grzimek seinen Zuschauern vorstellen wollte. Aber trotz Nase und Pullover sah Loriot Grzimek noch nicht genügend ähnlich. Verzweifelt schauten wir uns noch mal Aufzeichnungen des Originals an. Zuerst wurde die Brille verändert, sie bekam über den Gläsern Metallstreifen aufgeklebt, was schon ein bisschen half. Aber glücklich waren wir immer noch nicht. Selbst die Stimme saß nicht auf den Punkt. Dann schlug ich Loriot vor, doch die Augenbrauen hochzuziehen, so dass sie über der Brille sichtbar wurden. Das war die Lösung. Das Gesicht zog sich in die Länge, die Ähnlichkeit war plötzlich da, und auch die Stimme klang nach dieser kleinen mimischen Veränderung wie der richtige Grzimek. Wir konnten drehen.
Beim Schnitt wurde dann für den Sketch eine Montage aus den unterschiedlichsten Bildquellen erstellt. Es gab die in Loriots Trickfilmstudio gezeichnete legendäre Steinlaus, es gab die neu gedrehten Teile, in denen ein Kamerateam die Steinlaus auf dem Bremer Rathausmarkt zu filmen versucht (mit mir als bärtigem Kameramann), und es gab Archivaufnahmen von zusammenstürzenden Gebäuden, darunter auch eine Aufnahme, die ich Jahre zuvor im Rahmen eines dffb-Films über Immobilienspekulationen in Berlin gemacht hatte. Zusammengesetzt wirkte alles sehr authentisch.
Gibt man heute bei Google Grzimek ein und geht auf die Bildersuche, so erscheint schon auf der ersten Seite Loriot, und es ist verblüffend, sein Konterfei zwischen den ganzen echten Grzimeks zu sehen – er fällt kaum auf. Und noch im März 2013 zierte Loriot als Grzimek anlässlich der Auseinandersetzungen um die drohende Zerstörung der »Eastside Gallery« das Titelfoto des Berliner »Tagesspiegel« mit der Unterschrift: »Steinläuse als Mauerspechte?«
Der Journalist Peter Merseburger (»Panorama«) traf lange nach Beendigung seiner Fernsehkarriere Loriot und sagte ihm, dass er womöglich längst vergessen wäre, hätte dieser ihm nicht durch seine Parodie in »Cartoon« ein Denkmal gesetzt.
Günther Jauch, der mit Loriot befreundet war, beschrieb dies Phänomen anlässlich von Loriots 75. Geburtstag so: »Heute gibt es viele Jüngere, die sich die Grzimek- und Merseburger-Parodien ansehen, ohne die beiden Personen überhaupt zu kennen. Trotzdem liegen sie regelmäßig vor Lachen am Boden. Das ist im Grunde die höchste Form von Humor: etwas erfolgreich parodieren – und keiner kennt das Original.«
Die Steinlaus machte eine erstaunliche Karriere. Sie war derart populär geworden, dass sie – als Scherz und mit Bild – 1983 Eingang in das seriöse »Klinische Wörterbuch Pschyrembel« fand, wobei der Verlag seitdem die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das von Loriot/Grzimek Geäußerte hinaus reichhaltig medizinisch ergänzte:
Steinlaus: (engl.) stone louse; syn. Petrophaga lorioti; kleinstes einheimisches Nagetier (Größe 0,3–3 mm) aus der Familie der Lapivora mit den Subspecies Nierensteinlaus (Petrophaga lorioti nephrotica), Blasensteinlaus (Patrophaga lorioti vesicae), Gallensteinlaus (Petrophaga lorioti cholerica), Großhirnrindensteinlaus (Petrophaga lorioti neurotica gigantissima) u. gemeine St. (Petrophaga lorioti communalis); Erstbeschreibung 1983; Vork.: versch. menschl. Organe, großstädtische Steinwüsten; Nachw.: histol. äußerst schwierig; evtl. molekulargenet. nach Polymerase-Kettenreaktion. V. a. in Städten haben nitrose Gase
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