Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
der Affaire an die Öffentlichkeit zu zerren, sollte er wieder keine Karten bekommen. Richard Wagner hatte dem großen Dirigenten Hans von Bülow (der mit Loriot nicht direkt verwandt ist) dessen Gattin ausgespannt und sie geheiratet, nachdem Cosima schon während der Ehe mit Bülow drei Kinder von Wagner bekommen hatte. Wolfgang Wagner reagierte mit Humor, und Loriot erhielt fortan Karten.
Zur Zeit der Bayreuther Festspiele 1977 war ich am Starnberger See, um mit meinem Kollegen Hartmann Schmige unser erstes Kleines Fernsehspiel fürs ZDF zu schneiden. Wir hatten den Film »Höhenwahn« selber produziert, und Loriot war so großzügig, uns seinen Schneidraum unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Wir fuhren also mit unserem Filmmaterial nach Bayern und quartierten uns in Berg, einem Nachbarort von Starnberg, bei meiner Freundin Claudia ein.
In der letzten Woche unseres Aufenthalts fuhr Loriot mit seiner Frau Romi nach Bayreuth zum »Ring des Nibelungen« und zum »Parsifal«. Am Tag seiner Abfahrt überraschte er mich mit einer Karte für »Parsifal«. Wie alle Süchtigen wollte er, dass auch sein Freund derselben Droge verfiel, von der er schon lange abhängig war.
Ich setzte mich in mein Auto und fuhr nach Bayreuth. Als ich auf Empfehlung des allseits so beliebten Humoristen das Kartenbüro betrat, um mein Ticket vor Ort abzuholen, fragte man mich, ob ich nicht auch noch Lust auf den »Ring des Nibelungen« hätte, es gäbe noch Einzelkarten. Natürlich hatte ich Lust. Da ich aber noch mehr Lust hatte, von meiner Freundin Claudia begleitet zu werden, erstand ich auf dem Schwarzmarkt vor dem Theater noch ein paar weitere Karten, so dass wir den »Ring« komplett hatten.
In Bayreuth zu sein, das allein war schon großartig, mit Loriot in Bayreuth zu sein war wundervoll. Obwohl er Wagners Werk kannte wie kaum ein Zweiter, ging er doch jedes Mal mit der unverstellten Naivität eines Opernliebhabers, der einfach nur genießen will, ins Festspielhaus. Sein Wissen stand ihm nie im Weg, er war von schier unglaublicher Begeisterungsfähigkeit.
Da in Bayreuth die Pausen sehr lang sind – immer eine volle Stunde – hatten wir viele Gelegenheiten, über das Gehörte und Gesehene zu sprechen. Die erste Begegnung nach Verlassen des Theaters sah meist so aus, dass wir aufeinander zugingen und Loriot völlig erfüllt sagte: »War das fabelhaft! Ich glaub, das hab ich noch nie so toll gehört!« Im längeren Gespräch gabes dann auch hier und da Kritik, aber in Erinnerung ist mir überwiegend dieser anfängliche Enthusiasmus geblieben.
Nun hatten wir auch Glück. Die Jahre, in denen wir Bayreuth besuchten, waren wohl die aufregendsten und fruchtbarsten der Festivalgeschichte. Was wir in der letzten Juli-Woche 1977 in Bayreuth erleben durften, gehört bis heute zu den größten Theaterreindrücken meines Lebens – der »Ring des Nibelungen« in der legendären Inszenierung von Patrice Chéreau, dirigiert von Pierre Boulez. Chéreau verlegte die Handlung des »Rings« ins 18. und 19. Jahrhundert, die Götter waren menschliche Herrscher, und die Bühne bestand aus allegorischen Bildern, die menschliche Macht symbolisierten. Das Hervorstechendste aber war die über alle Maßen differenzierte Personenführung. Nicht ein einziges Mal sah man abgedroschene Operngesten, die Sänger wurden unter Chéreaus Regie zu veritablen Schauspielern. Und was vielleicht das Wichtigste war, die linken Franzosen Chéreau und Boulez befreiten Wagner für viele endgültig vom Verdacht, Nazikunst zu sein.
Aber nicht alle waren von Chéreaus Inszenierung angetan. Bei meinem ersten »Rheingold« hatte ich eine Karte für die Hausloge der Festspiele. Neben mir nahm eine ehrfurchtgebietende Dame, die aus einer anderen Zeit zu stammen schien, ihren Platz ein. Ihre Erscheinung war eine Mischung aus Margaret Dumont aus den Marx-Brothers-Filmen und der matronenhaften ältesten Schwester meiner Großmutter. Es war Winifred Wagner, Richard Wagners Schwiegertochter, in früherer Zeit eine gute Freundin von Adolf Hitler. Als das Orchester das magische Es-Dur-Vorspiel anstimmte, trat unter dem noch geschlossenen Vorhang ein wenig Nebel hervor. Winifred Wagner wurde ungeduldig und zischte vor sich hin »Tzz … tzz …«. Als der Vorhang aufging und statt des Flussbettes des Rheins das umstrittene Stauwehr sichtbar wurde, knurrte sie und schüttelte unwillig den Kopf. Irgendwann verließ sie noch während der Vorstellung die Loge.
In einer Pause
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