Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
lustwandelten wir durch das Garderobenfoyer des Festspielhauses, in dem die Mitwirkenden der Uraufführung des »Rings« im Jahr 1876 auf einer Marmortafel verzeichnet sind. Wir standen vor der Tafel, und Loriot sagte: »Es ist ein groß Ergetzen, sich in den Geist der Zeiten zu versetzen …« Er stutzte: »… was war das noch mal?« – »Faust« – »Ja, natürlich, aber wer sagt das im ›Faust‹?« Wir grübelten. Für Faust selbst war es zu wenig metaphysisch, für Mephisto zu wenig brillant. Nach längerem Nachdenken kamen wir darauf, dass das Zitat von der Figur des Wagner stammt. Ein Name, auf den wir in Bayreuth verständlicherweise nicht gleich kamen.
Durch Loriots gute Beziehungen zu den Festspielen hatten wir die Freude, auch einmal einen Blick hinter die Kulissen werfen zu dürfen. Oswald Georg Bauer, der Dramaturg des Festivals, führte uns kurz vor Beginn der »Walküre« durch das Festspielhaus. Wir hatten schon unsere Smokings an und wurden mit einem drahtverhauenen Bühnenfahrstuhl bis zur enorm hohen Beleuchterbrücke nach oben gefahren, um die ungeheuren Dimensionen des Hauses begreifen zu können. Als wir wieder heil unten ankamen, wurden wir Zeuge, wie Patrice Chéreau noch wenige Minuten vor Beginn der Vorstellung mit seinen Sängern detailliert Gesten probierte. Chéreau war während jeder einzelnen Vorstellung jedes Zyklus seiner Inszenierung hinter der Bühne anwesend, fünf Jahre lang, bei 68 Vorstellungen.
Die Bayreuther Sänger waren alle Fans von Loriot. Man stellt sich ja Opernsänger immer als eher seriöse, unnahbare Künstler vor. Das Gegenteil war der Fall. Vielleicht war es auch Loriots Beliebtheit, die die Unnahbaren so fröhlich stimmte. Jedenfalls freuten sich die Sänger über die Anwesenheit von Loriot, und er, der große Liebhaber großer Stimmen, freute sich zurück.
Gegessen haben wir nach den Vorstellungen meist im »Weihenstephan«, einem der traditionellen Restaurants Bayreuths. Im hinteren Teil gibt es das sogenannte »Sängerzimmer«.Außer den Mitwirkenden des jeweiligen Abends hatte nur Loriot mit seiner Entourage das Recht, dort zu speisen. Auch dort zeigten sich die Sänger von einer gänzlich anderen Seite als auf der Bühne. Im Vordergrund stand das Lachen, das Erzählen von Witzen und das Absingen frivoler Lieder. An einem der Abende hatte ich das Vergnügen, zwischen Matti Salminen und Helmut Pampuch, also zwischen Hunding und Mime, etwas eingequetscht auf der Eckbank zu sitzen. Von beiden Seiten donnerten der schwarze Bass und der helle Tenor ein unanständiges Lied in meine Ohren. Loriot lachte sich ins Fäustchen. Noch heute hängt im »Sängerzimmer« eine Zeichnung von ihm, die er allen Bayreuther Sängern gewidmet hat.
Während unserer Bayreuther Jahre sang der Tenor Peter Hofmann dort den Siegmund in der »Walküre«, den Lohengrin, den Parsifal und den Tristan. Er bewohnte während der Festspielzeit zunächst eine winzig kleine Neubauwohnung in der Stadt. Vermutlich hat er sich dort nicht oft aufgehalten. Die Wohnung war karg möbliert, im ungemütlichen Wohnzimmer stand ein modernes helles Klavier. Peter Hofmann empfing uns zum Tee und nahm sehr schnell an seinem Klavier Platz. Um Loriot eine Freude zu machen, fragte er ihn, ob er ihm etwas vorsingen dürfe. Loriot war glücklich. Peter Hofmann begleitete sich selbst und begann eine Passage aus der »Walküre« zu singen. Er hatte eine sehr große Stimme. Eine Stimme, die dazu geeignet war, die Opernhäuser dieser Welt zu füllen. Jetzt füllte die Riesenstimme eine kleine Neubauwohnung in Bayreuth – es war fast nicht auszuhalten. Selbst Loriot, der seinen Verstärker immer voll aufdrehte, geriet an seine Schmerzgrenze. Er fragte Hofmann skeptisch: »Wie halten Sie und Ihre Partnerinnen diese Lautstärke auf der Bühne denn bloß aus?« Peter Hofmann bestätigte, dass es bei Duetten gelegentlich durchaus unangenehm werden könne.
Einige Jahre später kaufte Peter Hofmann Schloss Schönreuth in der Nähe von Bayreuth. Er gehörte inzwischen zumpermanenten Ensemble der Festspiele und verbrachte übers Jahr nirgendwo mehr Zeit als in Bayreuth, deshalb beschloss er, dort sesshaft zu werden.
Als wir ihn das erste Mal in seinem neu erworbenen Anwesen besuchten, führte er uns stolz herum. Zuerst gingen wir in den Garten, wo in voller Größe der originale Walkürenfelsen aus Chéreaus inzwischen abgespielter »Ring«-Inszenierung aufgebaut war. Hofmann hatte das riesige Dekorationsstück vor der
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