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Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Titel: Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Lukschy
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wenn die Damen ein bisschen nervös wurden, als ich ihnen auf dem Weg zum Auto den Grund für die plötzliche Zuschauerflucht aus der Komischen Oper erklärte.
    Der Weg von der Behrenstraße zu unserem Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße, den wir benutzen mussten, weil wir dort auch nach Ost-Berlin eingereist waren, führte uns über die Straße Unter den Linden. Es hätte vielleicht auch einen Schleichweg gegeben, aber als West-Berliner kannte ich mich im anderen Teil der Stadt nicht gut aus. Als wir an die Linden kamen, wurden wir Zeugen eines unheimlichen Spektakels. Riesige Lafetten mit halb aufgerichteten Raketen donnerten im fahlen Licht der Straßenlaternen über den Boulevard, gefolgt von ratternden Panzern und anderen Militärfahrzeugen. Ein Polizist winkte hektisch mit seinem gestreiften Leuchtstab und bedeutete uns umzudrehen. Als ich ihm sagte, dass wir es eilig hätten, um vor Mitternacht – noch hatten wir eine kleine Chance, pünktlich zu sein – den Grenzübergang zu erreichen, schüttelte er den Kopf: »Hier ist Probe für die Parade zum Jahrestag der Oktoberrevolution, hier können Sie nicht durch, drehen Sie um, fahren Sie weiter!«
    Es begann eine Irrfahrt durch das nächtlich abgesperrte Ost-Berlin, das uns an diesem Abend noch dunkler erschien als sonst. Erst Gluck von Masur, dann Schubert und Beethoven von Pollini und jetzt Panzer und Raketen von rechts und links. Wo immer wir versuchten, eine Hauptstraße zu überqueren, wurden wir von einem Leuchtstab der Volkspolizei daran gehindert und unfreundlich verscheucht. Nach endlosen Umwegen erreichten wir endlich um halb eins den Grenzübergang. Über die Straße war ein Gitter geschoben. Wir hielten davor und warteten.
    Nichts passierte. Den Motor meines Autos hatte ich abgestellt, weil ich aus Erfahrung wusste, dass die DDR-Grenzer da keinen Spaß verstanden. Im Wagen wurde es langsam empfindlich kalt. Irgendwann kam ein Vopo aus seinem Häuschen und trat ans Fahrerfenster. Ich kurbelte die Scheibe herunter. »Wissen Sie, wie spät es ist?«, raunzte er mich an. – »Es tut uns leid, wir waren in der Oper und im Konzert. Es gab eine Verspätung, und danach war die Stadt überall gesperrt wegen der Probe zur Parade.« Er ließ sich unsere Pässe geben und blätterte darin. Ich zog meinen Trumpf. »Wir sind übrigens Gäste des Stellvertretenden Herrn Ministers für Kultur.« Der Trumpf stach nicht. »Sie wissen, dass Sie die Hauptstadt der DDR bis 24 Uhr zu verlassen haben.« – »Ja, aber, ich sagte Ihnen doch, wir sind als Gäste des Herrn Kultusministers in einem Konzert …« – »Dann dürfen Sie solche Konzerte eben nicht besuchen!« Damit ging er zurück in sein Häuschen. Die Pässe nahm er mit. Wir durften weiterfrieren, waren uns aber sicher, dass ein Telefonat des Grenzers die Angelegenheit umgehend aufklären würde. Weit gefehlt. Er ließ uns noch eine weitere halbe Stunde schmoren, die uns wie eine Ewigkeit vorkam, dann reichte er mir wortlos die Pässe zurück, schob das Gitter auf und herrschte mich an: »Fahren Sie weiter!«
    In der »Paris Bar« wurde es dann noch sehr gemütlich – und sehr spät. Irgendwann entschieden Romi und Claudia, dass Loriot und ich uns schon so lange kennen würden, dass es geradezu lächerlich sei, sich immer noch zu siezen. Die beiden Damen duzten sich längst. Zögernd willigten wir in den Wunsch der beiden ein, wir hatten eh keine Chance. Vicco bestellte eine Flasche Champagner, und wir stellten uns offiziell einander vor: »Ich heiße Stefan« – »Ich heiße Vicco, Wohlsein.« Als Romi und Claudia zusammen kurz den Tisch verließen und außer Hörweite waren, atmeten wir erleichtert auf. Wir konnten uns gefahrlos heimlich wieder siezen.
    Einige Tage später besuchten wir ein Studentencafé in der Charlottenburger Bleibtreustraße. Der kellnernde Student trat an unseren Tisch und fragte Loriot: »Und, was kann ich dir bringen?« Auch an diesem Ort des allgemeinen Du haben wir uns heimlich weitergesiezt.
    Lange ließ sich das nicht durchhalten, aber der Übergang von der reizvoll distanzierten Siez-Freundschaft zur gewöhnlichen Duz-Freundschaft fiel uns doch schwer. Etwas erleichtert hat uns die Sache einer von Loriots unvermeidlichen Dauerscherzen. Beschrieb man einen Sachverhalt, zum Beispiel: »Als ich mir nach dem Spaziergang mit den Hunden meine Schuhe angesehen habe, ist mir aufgefallen, dass sie ganz schön eingesaut sind«, dann unterbracht er blitzschnell: »Du kannst ruhig

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