Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
südamerikanischer Stummfilmstar, riss ihn dramatisch nach hinten und küsste ihn leidenschaftlich. Meiner Erinnerung nach war dies das einzige Mal, dass Evelyn ein paar Proben mehr benötigte.
Im Übrigen war Loriot sich selbst gegenüber von der gleichen unerbittlichen Strenge. Seine immer handschriftlichen Manuskripte waren übersät von Streichungen, Verbesserungen und Umstellungen. Er war an sich nie ganz zufrieden mit seinen Texten, zweifelte bis zum Ende, und nur die Notwendigkeit, die Dialoge irgendwann seinen Schauspielern in die Hand geben zu müssen, zwang ihn wohl zum Schlussstrich.
Berlin (Ost), die Zweite
Der Schnitt der vierten Sendung fand nur zum Teil in Ammerland statt. Loriot hatte wegen des Erscheinens seines »Dicken Loriot-Buches« in der DDR öfter in Berlin zu tun. Und er genoss es sichtlich, längere Zeit in der Stadt seiner Jugend zu verbringen. Damit wir in Berlin auch schneiden konnten, verkaufte mir Radio Bremen einen ausgedienten Schneidetisch. Alte Schneidetische waren schwer zu bekommen und bei jungen Filmemachern begehrt, einen neuen Tisch konnten sich nur Produktionsfirmen leisten. Der Tisch wurde nach Berlin verfrachtet und in meiner Wohnung aufgestellt. Er hat später außer mir noch einigen Nachwuchsregisseuren als kostenloser Schnittplatz für ihre ersten filmischen Gehversuche willkommene Dienste geleistet.
Am Tag der Buchpremiere, am 1. Oktober 1977, fuhren Loriot, seine Frau Romi, meine Freundin Claudia und ich nach Ost-Berlin. Es war die Zeit der Berliner Festspiele, die traditionell als Konkurrenzveranstaltung im Westen und im Osten der geteilten Stadt abgehalten wurden. Großes Mittagessen im Kreis der Ost-Berliner Politprominenz. Mir war die Sache unangenehm, weil meine Bedenken gegen die DDR doch erheblich waren. Loriot war es wichtiger, dass die Menschen durch sein Buch und seinen Humor ein Stück Hoffnung bekamen. Dafür war er bereit, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Letztlich hatte er wohl recht.
Abends gingen wir alle vier zur Feier des Tages als Gäste des Stellvertretenden Ministers für Kultur Klaus Höpcke in dieKomische Oper. Angesetzt war eine Doppelvorstellung. Zunächst die Premiere von Glucks »Iphigenie auf Tauris«, dirigiert von Kurt Masur, anschließend sollte als Spätvorstellung um 22 Uhr Maurizio Pollini einen nächtlichen Klavierabend geben. Was für ein Programm! Selbst in Salzburg hätte man so etwas kaum erleben können. Leider fing die Opernpremiere wegen technischer Probleme verspätet an, so dass auch Pollinis Konzert nicht pünktlich beginnen konnte.
Loriot verzichtete auf den Pianisten, weil er sich nach der Opernpremiere noch mit Vertretern des DDR-Kulturministeriums treffen musste. Wir verabredeten uns für nach dem Konzert in der West-Berliner »Paris Bar«. Romi, Claudia und ich gingen wieder in den Saal und hörten einen der bewegendsten Klavierabende unseres Lebens. Pollini spielte zunächst Schuberts Klaviersonate A-Dur D 959, grandios konzentriert und unglaublich schön. Nach einer kurzen Pause folgte Beethovens »Hammerklaviersonate«, eines der zentralen Stücke der Klavierliteratur. Joachim Kaiser nennt sie die »größte Sonate der Musikgeschichte« und ihren dritten Satz das »Allerheiligste der Sonate«. Dieser langsame Satz, das Adagio, dauert um die zwanzig Minuten und gehört zu den großen kompositorischen Mysterien Beethovens oder, wie Kaiser es ausdrückte: »Die Hammerklaviersonate macht auch anspruchsvoll. Von ihr berührt, wird man ungeduldig gegenüber vielem Mittelmäßigen und Mäßigen, das sich wer weiß wie aufspielt und doch nichts anderes ist als eine höhere Form der Belästigung.« Vladimir Horowitz, der vielleicht virtuoseste Pianist des 20. Jahrhunderts, hat sie nie öffentlich gespielt, er hielt sie fürs Konzert für zu schwer.
Pollini spielte den dritten Satz so, dass man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören können. Umso erstaunlicher war es, dass mitten in diesem Wundersatz einzelne Zuschauer aufstanden und den Saal verließen. Romi und Claudia blickten mich ungläubig an. Mir war sofort klar, warum die Konzertbesucher gingen. Es waren West-Berliner, die bis Mitternacht die DDR verlassen mussten, wenn sie keine Probleme bekommen wollten. Wir blieben selbstverständlich, immerhin waren wir Gäste des Stellvertretenden DDR-Ministers für Kultur. Pollini ließ sich durch die kleinen Störungen nicht irritieren und brachte das Nachtkonzert virtuos zuende. Wir waren glücklich, auch
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