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Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Titel: Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Lukschy
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nicht ein einziger Titel von Wagner. Loriot war eben alles andere als einseitig oder gar dogmatisch. So betonte er mehrfach, dass eigentlich die »Bohème« seine Lieblingsoper sei, auch wenn Wagner ihn letztlich doch tiefer berührte.
    Lag es daran, dass er sich im Alter von zwölf Jahren als Belohnung für eine überstandene Blinddarmoperation als ersten Opernbesuch in der Berliner Staatsoper »La Bohème« – mitseiner Lieblingsarie »Che gelida manina« – gewünscht hatte? Und nicht bekam? Man erfüllte ihm diesen Wunsch nicht, weil seine Mutter an einem Lungenleiden gestorben war und man dem Knaben eine hustend dahinsiechende Mimi nicht zumuten wollte. Es wurde dann »Carmen«, das Stück um dunkle Erotik, Eifersucht und Mord hielt man offenbar für kindertauglicher.
    Zu den oben genannten Favoriten kamen – unter anderen – hinzu: Jussi Björling, Giuseppe Di Stefano, Gianni Raimondi, Alfredo Kraus (den wir zusammen mehrfach live zu hören die Freude hatten), aber eben auch die lyrischen Peter Pears, Fritz Wunderlich und Peter Schreier. Die »Großen Drei«, Domingo, Carreras und Pavarotti, haben wir alle mit größtem Genuss mehrfach auf der Bühne erlebt, ebenso wie Neil Shicoff, Rolando Villazón, José Cura, Piotr Beczała und viele andere.
    Bei den Wagner-Tenören war die Sache verzwickter. Die großen Helden des Wagner-Gesangs schienen alle der Vergangenheit anzugehören: Max Lorenz, Ludwig Suthaus, Franz Völker (sein spezieller Liebling), Leo Slezak, Lauritz Melchior und Peter Anders (der tragischerweise kurz vor seiner ersten Bayreuther »Walküre« starb, von dem es aber einen grandiosen »Lohengrin« auf CD gibt). Vicco erzählte oft erschüttert die unglaubliche Tatsache, dass man ganz kurz vor Anders’ Tod die vollständige »Walküre« mit ihm für den Rundfunk aufgenommen hatte, die unersetzliche Aufnahme – um Bandmaterial zu sparen – aber wieder löschte, weil die bevorstehende Bayreuther Aufführung vermutlich bedeutender werden würde.
    Sicher, es gab später Wolfgang Windgassen und René Kollo, aber an die Stimmgewalt eines Lorenz oder Völker kamen diese großartigen Sänger wohl doch nicht heran. Vicco hatte die alten noch erlebt und sehr genau im Ohr. Dennoch wurde er nie sentimental. Er gehörte nicht zu denjenigen, die die Vergangenheit glorifizieren und der Gegenwart keine Chance geben. Im Gegenteil, er war sein Leben lang begierig darauf, neueStimmen zu entdecken. Als er Domingo als ganz jungen, noch völlig unbekannten Tenor in Hamburg singen hörte, sagte er voraus, dass der einmal ein ganz Großer werden würde. Er hatte recht behalten.
    Domingo hat es ihm nicht gedankt. Als wir 1990 in Wien in der Premiere seines »Lohengrin« saßen, war er indisponiert. Anstatt die Rolle dem in der Kulisse wartenden Paul Frey, einem immerhin erprobten Bayreuth-Tenor, zu überlassen, sang Domingo die Vorstellung. Bei der Gralserzählung im dritten Akt begann er die Zeile »Es heißt der …«, verstummte dann urplötzlich bei »… Gral, und selig reinster Glaube …« – in der das langgezogene hohe »A« zu singen ist – und setzte schließlich mit dem einfacher zu singenden Rest der Zeile »… erteilt durch ihn sich seiner Ritterschaft« wieder ein. Domingo wollte sich durch sein kurzes Verstummen ausgerechnet an einem der Höhepunkte der Oper für die am nächsten Tag angesetzte Fernsehübertragung schonen. Er erntete vom Publikum dafür ein einstimmig empörtes »Buh«, wie ich es selten in einem Opernhaus gehört habe.
    Einer von denen, die Vicco »entdeckte« und der wegen mangelnder Plattenaufnahmen nie die ganz große Karriere im Westen machte, war der erste Tenor des Moskauer Bolschoi-Theaters, der Russe Wladimir Atlantow. Atlantow war laut Vicco der einzige lebende Tenor, dessen Stimmkraft sich mit der von del Monaco messen konnte. Wir haben ihn in Wien in Verdis »Otello« gehört und am 23. Mai 1980 bei einem unvergesslichen »Tosca«-Gastspiel des Bolschoi-Theaters in Berlin.
    Loriot hielt »Tosca« für die vielleicht perfekteste Oper der Musikgeschichte, und dieses Meisterwerk wurde nun ausgerechnet im scheußlichen großen Saal des Berliner ICC dargeboten. Der Raum ist für Kongresse gebaut worden. Vicco fand, dass er aussah »wie eine nach innen gestülpte Concorde«. In den Bühnenbildern der uralten Moskauer Inszenierung hing der Staub von Jahrzehnten, aber Atlantow als Cavaradossi,seine Frau Tamara Milashkina als Tosca und Juri Mazurok als Scarpia waren ein

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