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Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Titel: Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Lukschy
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ist, war das Erlebnis überwältigend. Meine Erinnerung an diese Zeit ist in der Tat stärker mit den durch Kleibers »Tristan« versüßten Autofahrten verbunden als mit der Arbeit im Schneideraum der Bavaria.
    Es wurden aber nicht nur Schallplatten und CDs gehört, das häusliche Musizieren spielte in Ammerland ebenso eine Rolle, auch wenn der Hausherr daran nur passiv teilnahm. Im ersten Stock von Bülows Haus steht ein Klavier. Die Kinder waren aus dem Haus, und Romi spielte nur gelegentlich darauf. Zur Freude meiner Gastgeber habe ich mich oft daran gesetzt. Sogar der von mir verehrte Wilhelm Kempff, mit dem Bülows locker befreundet waren, hatte schon mehrfach auf dem Instrument gespielt.
    Viccos Enkel Leopold, der Sohn seiner in England lebenden Tochter Bettina, ist ein sehr begabter Musiker. Als er klein war, spielte er mit Hingabe Cello. Einmal waren wir gleichzeitig in Ammerland, und ich begleitete ihn am Klavier. Wir spielten »Prayer« (»Gebet«) von Ernest Bloch, ein wunderschön melancholisches Stück aus dem Zyklus »Jewish Life«. Unsere beiden Familien hockten wie in einem Biedermeiergemälde neben dem Klavier auf der Treppe und lauschten unserem Spiel. Selbst die beiden Möpse hörten aufmerksam zu.
    Zu seinem 70. Geburtstag wollte Vicco jeglichem Trubel entgehen und feierte in kleinstem Kreis im Haus von Bettina, südlich von London. Die Gästeliste folgte einem Gedanken,der so simpel wie genial war: Vicco wollte, dass es jedem Gast in jeder Situation egal ist, neben wem er/sie sitzt. Keiner sollte das Gefühl haben, Smalltalk oder leere Konversation betreiben zu müssen. Jeder sollte jeden mögen und jederzeit mit jedem reden wollen.
    Wir hatten heimlich für das Geburtstagskind ein Konzert vorbereitet. Doch als es so weit war, wäre die Überraschung beinahe geplatzt. Er sagte plötzlich mit Blick auf seine Enkel: »Jetzt möchte ich aber, dass endlich jemand Musik macht!« Für die Gäste wurden Stühle aufgebaut, und dann war Vicco doch sehr erstaunt, dass auf seine spontan geäußerte Bitte hin ein veritables Hauskonzert folgte – eine Szene wie aus einer anderen Zeit: Die beiden Enkelkinder Charlotte und Leopold spielten Klavier und Cello, Franziska Sperr spielte Flöte (ihr Mann Johano Strasser hielt später noch eine hinreißende Rede auf den Jubilar), Viccos früherer Assistent, der Engländer Tim Moores, zauberte in der Konzertpause, und ich spielte mit Viccos altem Freund Patrick Süskind vierhändig Schubert und Mozart.

Berlin, die Dritte – Swing
    Außer unseren Großvätern und unserer Liebe zur Musik verband uns auch die Tatsache, dass wir beide in Berlin aufgewachsen sind, mit ganz ähnlichen Erinnerungen. Wir hatten beide als kleine Jungs peinlich darauf geachtet, beim Laufen über die großen Gehwegplatten aus Granit nicht auf die Nahtstellen zu treten, wir wussten beide, wie sich der Handlauf des Treppengeländers in einem alten Berliner Mietshaus anfühlte, und wir liebten Bilder aus dem alten Berlin, das ich nur von Fotos kannte, Vicco aber noch erlebt hatte. Oft blätterten wir in Fotobänden über das unzerstörte Vorkriegsberlin. Und erschüttert berichtete er, dass er im November 1943 für eine Woche Heimaturlaub hatte, die Stadt relativ intakt vorfand, um wenige Tage später die nach einer Welle von Bombenangriffen weitgehend zerstörte Reichshauptstadt wieder in Richtung Ostfront zu verlassen.
    Teil unserer gemeinsamen Berlin-Leidenschaft war auch die Liebe zum Biedermeier und zum Klassizismus. Schinkels strenge Architektur erfreute uns ebenso wie die Bilder von Eduard Gaertner, dem bedeutendsten Berliner Architekturmaler des frühen 19. Jahrhunderts. Überhaupt war das frühe 19. Jahrhundert eine Welt, in der wir beide uns sehr wohlfühlten.
    Ein wahrer Glücksmoment war 2007 unser Besuch der Ausstellung »Erfindung der Einfachheit – Biedermeier« im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Es war ein herrlicherAusflug in die Vergangenheit, wobei wir mit großem Erstaunen feststellten, wie modern, ja fast bauhaushaft schlicht das Design vieler Möbel und Gebrauchsgegenstände damals schon war.
    Nach der Wende gehörte allen Berlinern wieder die ganze Stadt. Ich hatte noch Kindheitserinnerungen an die Zeit vor dem Mauerbau. Wir waren jeden Winter mit dem Auto durch das Brandenburger Tor zum Weihnachtsmarkt am Lustgarten gefahren. Das »Forum Fridericianum«, also das Ensemble von Humboldt-Universität, Staatsoper, St. Hedwigs-Kathedrale und Königlicher Bibliothek

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