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Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Titel: Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Lukschy
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(der »Kommode«), hatte ich seltsamerweise auch zu Mauerzeiten immer als das Zentrum meiner Stadt empfunden. Trotzdem, noch lange nachdem die Mauer gefallen war, stellte ich verwundert fest, wie sehr geteilt die Stadt doch war. Vicco erzählte, dass sich die zwei Stadthälften traditionell immer fremd gewesen seien. Charlottenburg und Berlin, das am Brandenburger Tor endete, sind schließlich erst 1920 zu »Groß-Berlin« vereinigt worden. Man ging früher, so Vicco, in Mitte ins Theater, ins Museum oder in die Oper, ansonsten aber galt für Bewohner des Westens: »Man kannte einfach niemanden in Mitte …«
    1999 kauften sich Bülows eine kleine Dachwohnung am Charlottenburger Sa vignyplatz (die Betonung auf der ersten Silbe war ihm wichtig). Sie wollten mehr in der Hauptstadt sein und genossen es, dort eine dauerhafte Bleibe zu haben – im selben Haus, in dem der Zeichner und Maler George Grosz bis zu seinem Tod gelebt hat.
    Es war ein Vergnügen, Romi und Vicco zu erleben, als sie wie ein jungverliebtes Pärchen durch die Läden zogen, um sich einzurichten. »Wir haben uns heute ein Bett gekauft!« (vermutlich das Modell »Andante« mit »Spannmuffenfederung«). Einen ebenso schlichten wie begeisterten Ausruf hört man nicht oft von einem Ehepaar, das zusammen 150 Jahre alt ist.
    Vicco liebte seinen Kiez. Es gab noch einen Plattenladen in der Knesebeckstraße, und Viccos Lieblingsitaliener befand sich praktisch unten im Haus, so dass er nach übersichtlich kurzem Fußweg zu seinem nachmittäglichen Caffè Latte kam.
    Als Bülows nun häufiger und auch für längere Zeit in Berlin waren, kamen sie regelmäßig zu uns zum Essen, wenn sie uns nicht ins »Aida«, die »Paris Bar« oder ins »Tre« einluden. Zwischendurch wurden wir auch zeitweilig zur Berliner Poststelle und zum Schreibbüro, wenn sein Faxgerät streikte oder Romis Computer wieder einmal nicht so wollte wie sie.
    Er ließ sich gern durch das Berlin der Nachwendezeit kutschieren und ergänzte meine Erklärungen zur aktuellen Architektur mit Erinnerungen an das Berlin seiner Kindheit. Auch wenn man in Mitte »niemanden kannte«, so waren doch das Forum Fridericianum und der Lustgarten auch für ihn das Zentrum Berlins, das ich mir gerade wieder eroberte. Wir zeigten uns quasi gegenseitig unsere Stadt – das, was vom Vorkriegsberlin noch stand, und das viele, was seit der Wende neu entstanden war. Dass es in fortschrittlichen Architekten- und Intellektuellenkreisen als, sagen wir, etwas gestrig galt, für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses zu sein, führte dazu, dass er sich mit öffentlichen Äußerungen diesbezüglich zurückhielt. Aber natürlich war er dafür. Schade, dass er den Bau nicht mehr erleben durfte.
    In Potsdam besuchten wir Schloss Lindstedt, das von 1803 bis 1828 im Besitz der Familie von Bülow war und auf dem Ahnenbild über dem Sofa in Ammerland im Hintergrund zu sehen ist. Das Gut gehörte schon seit Ewigkeiten nicht mehr den Bülows, dennoch hatte Lindstedt durch die Darstellung auf dem Ahnenbild für Vicco eine große Bedeutung.
    Die Bülow’schen Ahnenbilder waren nach dem Krieg in der DDR gelandet. Nach Ansicht der dortigen Regierung gehörten sie zum nicht exportfähigen Kulturgut. Karl-Eduard von Schnitzler, der politische Chefkommentator des DDR-Fernsehens, der mit seiner unfreiwillig komischen Hetz-Sendung »Der schwarze Kanal« bei uns West-Berlinern Kult war, hatte ein Herz für Loriots Interesse an dessen Familiengeschichte. Er wusste, was sich gehört, und sorgte dafür, dass die privaten Bülow’schen Ahnenporträts das Land verlassen durften.
    Berlin elektrisierte Vicco, die Luft der Großstadt war für ihn geradezu ein Jungbrunnen. Er fühlte sich plötzlich ganz und gar nicht mehr alt und parodierte immer mal wieder den alten Mann, der er ja inzwischen tatsächlich war, indem er beim Überqueren der Straße scherzhaft mit seinem Stock fuchtelte und mümmelnd vorbeifahrenden Autos drohte. Genausogut konnte es aber auch vorkommen, dass er trotz Gehstocks unvermutet auf dem breiten Bürgersteig der Knesebeckstraße aus purer Lebensfreude ein paar leichtfüßige Wechselschritte im Stil eines altmodischen Swingtänzers wagte.
    Denn es war ja beileibe nicht so, dass Vicco nur die sogenannte »klassische« Musik mochte. Er liebte genauso den Swing der zwanziger Jahre. Fred Astaire und Jack Hylton mit seiner Big Band bewunderte er wegen der einmaligen Eleganz in Tanz und Musik. Seine Lieblingstanzszene war eine

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