Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
Opernhaus zu verlassen. Sie waren der irrigen Annahme, dass Vicco (und ich) nur am Tenor interessiert seien. Dass die eigentliche Sensation des Abends Margaret Price war, kam ihnen nicht in den Sinn. Wir überredeten sie zu bleiben, denn Desdemonas Gebet, der Höhepunkt ihrer Partie, kam erst nach der Pause. Und wir wurden reich belohnt. Nie haben wir das »Piangea cantando« und das nachfolgende »Ave Maria« zarter und ausdrucksvoller gehört. Es mussten keineswegs immer nur Tenöre sein.
In seinem letzten Sommer, 2010, rückte wieder einmal Wagners »Lohengrin« stärker in Viccos Fokus. Aber diesmal war es nicht die Titelpartie, sondern die große Szene Elsa -Ortrud im zweiten Akt. Vicco wurde nicht müde, die Stelle, an der sich Elsas und Ortruds Duett zu schönster Zweistimmigkeit auflöst (»Es gibt ein Glück, das ohne Reu’«), in allen seinen Aufnahmen – und das waren etliche – zu vergleichen. Am meisten mochte er das Duett im Bayreuth-Mitschnitt von 1953, gesungen von Eleanor Steber und Astrid Varnay, dirigiert von Joseph Keilberth.
Wann immer ich einem neuen aufregenden Sänger begegnet bin, war es mir ein Bedürfnis, Vicco möglichst schnell in meine Entdeckung einzuweihen. So konnte ich ihn auf Jonas Kaufmann hinweisen, den er noch nicht kannte, und später auf Vittorio Grigolo. Und ein kleines humoristisches Fundstück hatte ich auch für ihn. Es ist die Aufnahme eines Vorsingens für den Chor der Oper in Bonn, vermutlich aus den siebziger oder achtziger Jahren. Sie wurde mir irgendwann von einem Bekannten zugespielt. Ein Sänger, des Deutschen kaum mächtig und auch stimmlich nicht auf der Höhe, krächzt und knödelt »Dein ist mein ganzes Herz«, dass es einem die Schuhe auszieht. Wir haben das kakophonische Juwel oft gehört, jedes Mal hat es Vicco vor Lachen die Tränen in die Augen getrieben.
Mit zwei CDs, die ich ihm irgendwann vorspielte, ist es mir sogar gelungen, meinen Freund reinzulegen. Das erste war ein Orchesterstück, das Vicco aufhorchen ließ. Er, der alles vonWagner kannte, war sicher, dass die Musik von eben diesem stammen müsse, und er freute sich, einem neuen Werk seines Lieblingskomponisten zu begegnen. Wir hörten das Stück zuende, Vicco war frappiert. Aber ich musste ihn enttäuschen. Es handelte sich um die Endpassagen zweier Tracks der Filmmusik zu »Gladiator« von Hans Zimmer (»The Might of Rome« und »Barbarian Horde«).
Das andere war eine sehr spezielle Aufnahme des ersten Aktes von Verdis »La Traviata«. Der Tenor, eine offensichtlich nicht mehr junge Stimme, krächzte grausam, aber das Orchester spielte brillant. Vicco war ratlos und lauschte stirnrunzelnd dem ungewöhnlichen Tondokument. Es war ein Probenmitschnitt des Dirigenten Arturo Toscanini, der nur mit dem Orchester probierte und den Tenorpart selber übernommen hatte.
In meiner Jugendzeit war Rudolf Schock eher durch Operettenwunschkonzerte und Schlagerfilme populär – mein Vater trat sogar mit ihm zusammen in zwei kitschigen Fünfziger-Jahre-Schmonzetten auf. Dass der von mir ungeliebte Sänger ein großer Tenor war, wollte ich nicht wahrhaben, bis mich Vicco eines Besseren belehrte. Er spielte mir seinen »Lohengrin« vor, seinen Rudolf aus der »Bohème« und seinen jungen Seemann in Furtwänglers »Tristan«. Schocks Stimme war tatsächlich bemerkenswert. Und Vicco war es ein Herzensanliegen, dass ich mein Vorurteil, Schock sei nur ein Schnulzensänger, revidierte.
Er selbst war übrigens immer sofort bereit, Vorurteile über Bord zu werfen. Ich erinnere mich daran, dass er während unserer Bremer Zeit einmal nach Hamburg zu einem Hauskonzert mit dem Amadeus-Quartett eingeladen war. Er hatte nicht so rechte Lust, einen Abend mit Kaufleuten und unverbindlichem hanseatischem Smalltalk zu verbringen, fuhr aber dennoch hin. Als er nach Bremen zurückkam, erzählte er mir erstaunt und fast beschämt, dass er selten in seinem Leben so viele Menschen getroffen habe, die so viel von Musik verstanden hätten.
Eine seiner späten Entdeckungen war der ungarische Tenor Zoltán Závodszky. Ein Bekannter hatte ihm eine Kassette von Závodszky geschickt. Wagner auf Ungarisch klingt gewöhnungsbedürftig, aber Vicco war von der lyrischen Stimme des Sängers hingerissen (hauptsächlich bei Siegfrieds Tod). Leider gab es nur wenige Aufnahmen von ihm und nur Auszüge aus Opern. Meine Recherchen und ein umfangreicher E-Mail-Verkehr mit der ungarischen Plattenfirma haben leider nicht dazu geführt, dass ich
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