Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
Gesangsensemble von so unfassbarer Stimmkraft, dass wir den Raum, in dem wir saßen, vollkommen vergaßen.
Erstaunlicherweise war das große Vorbild des Russen mit der baritonal unterfütterten Riesenstimme der einzigartige Alfredo Kraus, der doch eine vollkommen andere Stimmfärbung hatte. Kraus war ein hoch liegender lyrischer Tenor des italienischen Fachs. Seine Stimme war kräftig, seine Technik perfekt und seine Höhe mühelos. Vicco schwärmte, wenn er Kraus hörte, wie der bei Spitzentönen einfach oben eine zusätzliche »Klappe« aufmachte. Aber Kraus wäre nicht im Traum auf den Gedanken gekommen, Atlantows Paraderolle, den heldischen Otello, zu singen. Dennoch, einmal so kultiviert zu singen wie Alfredo Kraus, das schien Atlantow das höchste Ziel zu sein.
Vicco lernte Atlantow später persönlich kennen, als der mit dem Gedanken spielte, den »Lohengrin« einzustudieren. Er ließ sich von Vicco den deutschen Text auf Band sprechen, um die Betonungen richtig lernen zu können. Zum Dank bekam Vicco von ihm eine Kassette geschenkt, auf der er seinem deutschen Freund ein Geburtstagsständchen gesungen hatte. Aus Atlantows »Lohengrin« ist leider nie etwas geworden.
Neben der Oper liebte Vicco ebenso den klassischen Liedgesang. Dass er den großen Dietrich Fischer-Dieskau verehrte, versteht sich beinahe von selbst, die beiden waren zudem Nachbarn und miteinander befreundet. Vicco konnte über schöne Stellen aus Schuberts Liederzyklen genauso ins Schwärmen geraten wie über einen lang und laut geschmetterten »Wälse-Ruf« aus der »Walküre« (der längste, den wir gemeinsam gehört haben, stammt von Lauritz Melchior, Boston 1940, 16 Sekunden!).
Seine innigste Liebe galt hier wohl doch der »Schönen Müllerin«, vor allem den melancholischen Liedern »Trockene Blumen« und »Der Müller und der Bach«. Da er glücklicherweise die Angewohnheit hatte, in den CD-Booklets seine Lieblingsstücke mit kleinen schwarzen Punkten zu markieren, kann man sich anhand dieser Notizen noch heute auf die Reise zu seinen musikalischen Favoriten begeben.
Die Leidenschaft für Tenöre und große Stimmen zog sich durch Loriots ganzes Leben. Es fing mit dem Kurbelgrammophon seines Vaters an, auf dem er Caruso, Schaljapin und Gigli hörte, setzte sich in seiner ersten »Carmen« in der Berliner Staatsoper fort (Franz Völker sang den Don José!) und gipfelte zunächst darin, dass er als Schüler an der Stuttgarter Oper als Statist mitwirkte. Dort erlebte er seine Idole, wie z. B. Völker, aus größter Nähe auf der Bühne. Zuhause fertigte er nach seinen Auftritten als Soldat, Volk oder Sklave sehr begabt gezeichnete Figurinen seiner Kostüme an. Ich fand es schade, dass er diese ganz frühen Talentproben nie als Buch herausgeben wollte. Sie hätten schöne Illustrationen für seinen »Kleinen Opernführer« abgegeben.
Die Liebe zum Theater ließ ihn nie los, und die Menge an Schauspiel- und Opernzitaten, die er fehlerfrei parat hatte, war beeindruckend. Ich weiß nicht, was spektakulärer ist, Telramunds hochdramatische Anklage gegen Elsa im ersten Akt des »Lohengrin« von einem große Bariton gesungen zu hören oder sie von Loriot im Affentempo und mit perfekter Artikulation auswendig rezitiert zu bekommen:
»Zum Sterben kam der Herzog von Brabant, und meinem Schutz empfahl er seine Kinder, Elsa, die Jungfrau, und Gottfried, den Knaben; mit Treue pflog ich seiner großen Jugend, sein Leben war das Kleinod meiner Ehre. Ermiss nun, König, meinen grimmen Schmerz, als meiner Ehre Kleinod mir geraubt! Lustwandelnd führte Elsa den Knaben einst zum Wald, doch ohne ihn kehrte sie zurück; mit falscher Sorge frug sie nach dem Bruder, da sie, von ungefähr von ihm verirrt, bald seine Spur – so sprach sie – nicht mehr fand. Fruchtlos war all Bemüh’n um den Verlor’nen; als ich mit Drohen nun in Elsa drang, da ließ in bleichem Zagen und Erbeben der grässlichen Schuld Bekenntnis sie uns sehn. Es fasste mich Entsetzen vor der Magd; dem Recht auf ihre Hand, vom Vater mir verlieh’n, entsagt’ ich willig da und gern und nahm ein Weib, das meinem Sinn gefiel: Ortrud, Radbods, des Friesenfürsten Spross.«
»Komisch, für sowas hab ich’n Gedächtnis«, um mit Herrn Lohse aus »Pappa ante Portas« zu sprechen. Es war aber nicht immer so lang. Kürzere Wagner-Zitate spielten in der Konversation mit Vicco ständig eine Rolle (»Gunther, deinem Weib ist übel!«, »Altgewohntes Geräusch …« etc.). Und wo immer man mit
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