Der glückliche Tod
die Bündel, von denen man durch die Umhüllung aus Zeitungspapier nur den Schnitt erkennen konnte. Seine Waffe unter dem Arm, füllte er mit der einen Hand in aller Ruhe seinen Koffer. Es waren weniger als zwanzig Bündel zu hundert Scheinen vorhanden, und Mersault stellte fest, daß er einen zu großen Koffer mitgenommen hatte. Ein Bündel von hundert Scheinen ließ er in der Kassette. Nachdem er den Koffer geschlossen hatte, warf er seine halb aufgerauchte Zigarette ins Kaminfeuer, nahm den Revolver in die rechte Hand und näherte sich dem Krüppel.
Zagreus sah jetzt zum Fenster hinaus. Man hörte ein Auto mit einem mahlenden Geräusch langsam an der Haustür vorüberfahren. Regungslos schien Zagreus die ganze unmenschliche Schönheit dieses Aprilmorgens in sich aufzunehmen. Als er den Revolverlauf an seiner rechten Schläfe fühlte, wendete er nicht einmal den Blick. Doch Patrice, der ihn anschaute, sah, daß seine Augen sich mit Tränen füllten. Er selbst schloß darauf die seinen. Er trat einen Schritt zurück und schoß. Einen Moment lang lehnte er sich mit immer noch geschlossenen Lidern an die Wand, er fühlte wieder das Blut in seinen Ohren rauschen. Dann schaute er hin. Der Kopf war auf die rechte Schulter gesunken, der Körper hatte kaum seine Stellung verändert, so daß man nicht mehr Zagreus sah, sondern nur eine riesige Wunde in einem Gewirr von Hirn, Knochen und Blut. Mersault begann zu zittern. Er ging auf die andere Seite des Sessels, tastete nach Zagreus' rechter Hand, schloß sie fest um den Revolver, hob sie bis zur Höhe der Schläfe und ließ sie wieder sinken. Der Revolver fiel auf die Lehne des Sessels und von da auf Zagreus' Knie. Bei dieser Bewegung sah Mersault Mund und Kinn des Krüppels. Er zeigte noch den gleichen ernsten, traurigen Ausdruck wie zuvor, als er aus dem Fenster geblickt hatte. In diesem Moment ertönte ein schriller Trompetenstoß vor der Tür. Ein zweites Mal erklang das unwirkliche Signal. Mersault stand noch immer über den Sessel gebeugt, ohne sich zu rühren. Wagenrollen kündete die Weiterfahrt des Metzgers an. Mersault ergriff seinen Koffer, öffnete die Tür, deren Klinke unter einem Sonnenstrahl blitzte, und verließ mit einem Pochen in den Schläfen und trockener Zunge den Raum. Er schritt durch die Haustür und enteilte mit großen Schritten. Niemand war zu sehen außer einer Gruppe von Kindern am anderen Ende des kleinen Platzes. Er entfernte sich. Auf dem Platz angekommen, wurde er sich plötzlich der Kälte bewußt und fröstelte unter seinem leichten Rock. Zweimal mußte er niesen, und das Tal warf ein helles, höhnisches Echo zurück, das die kristallklare Luft höher und höher trug. Wiewohl etwas schwankend, blieb er stehen und atmete kräftig durch. Von dem blauen Himmel senkten sich Millionen kleiner lächelnder Lichter herab. Sie spielten auf den noch regennassen Blättern, auf dem feuchten Tuff der Alleen, flatterten zu den Häusern mit den Dachziegeln von der Farbe frisch vergossenen Blutes hinüber und schwangen sich wieder zu den Reservoirs von Luft und Sonne empor, aus denen sie kurz zuvor sich ergossen hatten. Ein sanftes Surren kam von einem winzigen Flugzeug, das dort oben schwebte. Bei diesem Überschwang der Luft und dieser Fülle des Himmels schien den Menschen einzig die Aufgabe zugedacht, zu leben und glücklich zu sein. In Mersault wurde alles still. Ein drittes Niesen schüttelte ihn, und er verspürte etwas wie einen Fieberschauer. Er eilte davon, ohne um sich zu blicken, begleitet nur von dem Knarren des Koffergriffs und dem Geräusch seiner Schritte. Zu Hause angekommen, legte er sich hin und schlief bis tief in den Nachmittag hinein.
II
Der Sommer füllte den Hafen mit Stimmenlärm und Sonne. Es war halb zwölf Uhr vormittags. Der Tag strömte sein Innerstes aus, um die Quais mit dem ganzen Gewicht seiner Hitze zu erdrücken. Vor den Lagerschuppen der Handelskammer von Algier nahmen «Schiaffinos» mit schwarzem Rumpf und rotem Schornstein Kornsäcke an Bord. Ihr feiner Staubduft vermischte sich mit den kompakten Teergerüchen, die eine heiße Sonne zur Entfaltung brachte. Vor einer kleinen Baracke, wo es nach Firnis und Anisette roch, saßen Männer und tranken, während arabische Akrobaten in roten Trikots vor dem sonnenblitzenden Meer auf den glühendheißen Steinplatten ihre Körper verrenkten. Ohne sie zu beachten, betraten die säckeschleppenden Hafenarbeiter die beiden schwingenden Planken, die vom Quai auf das
Weitere Kostenlose Bücher