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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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und Emmanuel tauschten Anreden wie «Na, Kamerad!» und Schulterklopfen aus. «Die Alten, weißt du», meinte Céleste, «sind ja blöd im Kopf. Sie sagen, ein richtiger Mann ist einer von fünfzig Jahren. Das sagen sie aber nur, weil sie selber in den Fünfzigern sind. Ich habe da einen Kumpel gehabt, der nur mit seinem Sohn glücklich war. Sie gingen zusammen aus. Sie trieben es ziemlich bunt. Sie gingen ins Casino, und mein Kumpel sagte: «Warum soll ich mich mit all den Alten abgeben? Sie erzählen mir täglich, daß sie Abführmittel genommen haben, daß sie ihre Leber spüren. Da ist es besser, ich gehe mit meinem Jungen aus. Manchmal schnappt er sich eine kleine Hure, ich tue dann, als sehe ich nichts, und steige in die Tram. Auf Wiedersehen und Danke. Ich bin sehr zufrieden.»» Emmanuel lachte. «Natürlich», erklärte Céleste, «wußte der auch nicht alles besser, aber ich mochte ihn gern.» Zu Mersault gewendet fuhr er fort: «Und außerdem ist mir so einer lieber als ein anderer Kumpel, den ich hatte. Als der es zu was gebrachte hatte, winkte er mich nur noch mit dem Kopf heran oder gab mir kleine Zeichen. Inzwischen ist er nicht mehr so stolz, er hat alles verloren.»
    «Geschieht ihm recht», meinte Mersault.
    «Oh, man soll sich nicht kleinkriegen lassen im Leben. Er hat sich eine gute Zeit gemacht, und warum auch nicht. Neunhunderttausend Francs hat er gehabt. . . Ah, wenn ich das gewesen wäre ! »
    «Was würdest du tun?» fragte Emmanuel.
    «Ich würde mir eine kleine Hütte kaufen, mir ein bißchen Vogelleim auf den Nabel schmieren und eine Fahne draufsetzen. Und dann würde ich warten und sehen, von welcher Seite der Wind kommt.»

    Mersault verzehrte in Ruhe sein Mahl, bis Emmanuel auf den Gedanken kam, dem Wirt seine berühmte Geschichte von der Marneschlacht vorzusetzen.

    «Uns, die Zuaven, haben sie als Tirailleurs eingesetzt. . .»
    «Du ödest uns an», erklärte Mersault ruhig.
    «Der Kommandeur befahl: «Angriff!» Und wir alle hinunter, es war da so eine mit Bäumen bestandene Schlucht. Er hatte uns gesagt, wir sollten angreifen, aber vor uns war kein Mensch. Wir sind also marschiert und immer weiter vorgegangen. Dann aber gab es auf einmal Maschinengewehrfeuer. Sie schossen mitten in uns hinein. Alles purzelte nur so übereinander. Es gab so viele Verwundete und Tote, und auf dem Grund der Schlucht war soviel Blut, daß man in einem Kanu hätte hinüberfahren können. Da waren welche, die schrien: «Mama!» Es war fürchterlich.»
     
    Mersault stand auf und knüllte seine Serviette zusammen. Der Wirt ging und notierte sein Mittagessen mit Kreide hinten auf der Küchentür. Das war sein Rechnungsbuch. Wenn einer protestierte, hob er die Tür aus den Angeln und schleppte die Rechnung auf seinem Rücken herbei. In einer Ecke saß René, der Sohn des Wirtes, und aß ein weiches Ei. «Der Arme», sagte Emmanuel, «er geht an der Schwindsucht zugrunde.» Das stimmte. René war gewöhnlich still und ernst. Er war nicht allzusehr abgemagert, doch seine Augen glänzten. Gerade war ein Gast dabei, ihm zu erklären, Tuberkulose sei heilbar, «wenn man abwartet und vorsichtig lebt». Er nickte und antwortete ernst zwischen zwei Bissen. Mersault stützte sich neben ihm mit den Ellbogen auf den Schanktisch, um noch einen Kaffee zu trinken. Der andere redete weiter: «Du hast wohl nicht Jean Pérez gekannt? Den von der Gasanstalt? Der ist gestorben. Er hatte eine kranke Lunge. Aber er wollte fort aus dem Spital und wieder nach Hause. Und da war seine Frau. Und seine Frau ist ein Pferd. Seine Krankheit hatte ihn so gemacht. Du verstehst schon, ständig war er auf seiner Frau. Sie wollte gar nicht. Er aber trieb es ganz schrecklich damit. Na ja, und zwei-, dreimal täglich, das bringt einen kranken Mann ja schließlich um.» René hatte zu essen aufgehört und starrte, noch ein Stück Brot zwischen den Zähnen, den anderen an. «Ja», meinte er schließlich, «die Krankheit kommt schnell, doch mit dem Gehen nimmt sie sich Zeit.» Mersault malte mit dem Finger seinen Namen auf die beschlagene Kaffeemaschine. Er blinzelte mit den Augen. Zwischen diesem friedlichen Lungenkranken und dem von Liedern überquellenden Emmanuel pendelte sein Dasein Tag für Tag im Geruch von Kaffee und von Teer hin und her, von ihm selbst und allem, was für ihn sinnvoll war, losgelöst, seinem Herzen und seiner Wahrheit entfremdet. Die gleichen Dinge, die ihn unter anderen Umständen leidenschaftlich bewegt haben

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