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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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überschwenglich sinnliche oder die Sonne besingende lyrische Textpartien folgen ohne Übergang aufeinander. Die Episoden sind zu zahlreich und wiederholen sich in einzelnen Fällen: so wird uns nach dem Tod der Mutter Mersaults noch vom Tod der Mutter Cardonas berichtet. Die weiblichen Rollen vor allem sind ungünstig verteilt. Aus dem Trioder «Schäfchen» ragt Catherine hervor, die —wie die ersten Pläne zeigen — ursprünglich eine Liaison mit Mersault hatte.

    l Vgl. Roger Quilliot: «La Mer et lesprisons». Paris 1956, S. 87.
     
     Aber Lucienne konnte sich der gleichen Gunst rühmen. Die Pläne sehen vor, daß Mersault bald mit der einen, bald mit der anderen liiert ist. Dort taucht auch der Name einer gewissen Lucile auf. Wie man einer Korrektur entnehmen kann, tritt später Marthe an ihre Stelle und übernimmt auch zum Teil die Rollen von Lucienne und Catherine. Marthe ist Mersaults Liaison im Stadium der «verloRenén Zeit», Catherine die der «wiedergefundenen Zeit». Gewiß, Camus hat es nicht leicht mit seinen Frauengestalten! Sie hemmen die Entwicklung des Romans. Sie illustrieren gewissermaßen das Sprichwort: Wer sich zuviel vornimmt, wird gar nichts erreichen. Man merkt der letzten Fassung an, wie sich Camus, wenn auch mit wenig Erfolg, bemüht hat, ihre jeweiligen Vorrechte festzulegen, ihr Auftreten vorzubereiten oder ihre Spuren zu erhalten.
     
    Hätte ein besserer Roman daraus werden können, wenn Camus mehr Arbeit investiert hätte? Als Roman ist «Der glückli che Tod» von seiner Anlage her verfehlt. «Die Qualität eines Romans», so liest man in einer neueren Untersuchung 1 über die Gattung Roman, «hängt von dem Spannungsverhältnis ab, in dem sich exakte Beobachtung und Korrektur oder Vertiefung des Realen durch das Imaginäre befinden.» Diesem Postulat kann sich kein Roman entziehen. In «Der glückliche Tod» bleiben die Elemente der Beobachtung, das heißt die autobiographischen Partien, isoliert: die Erinnerungen an das Armenviertel, an das Sanatorium, an das «Haus vor der Welt», an die Reise nach Mitteleuropa, an weibliche Gestalten sind nicht — im chemischen Sinne des Wortes — «behandelt», sie fügen sich nicht zu «einem Ganzen, zu einer geschlossenen und einheitlichen Welt» zusammen, vergleichbar der Welt Prousts, die Camus später in «Der Mensch in der Revolte» als Modell hinstellt. Sie würden nur dann ein Ganzes bilden, wenn sie von der kreativen Imagination aufgenommen und verarbeitet worden wären. In «Der glückliche Tod» wird die Imagination aber einzig auf der Ebene des Stils wirksam. Was Gestalten und Episoden angeht,
     
    l H. Coulet: «Le Roman jusqu'à la révolution» Bd. I. Paris 1967.

     so ist die Empfindungsgabe hier noch unzulänglich. Weder der Mord an Zagreus, inspiriert durch «Conditio humana» oder «Schuld und Sühne», noch die Gestalt selbst erreichen die Überzeugungskraft, die einen Roman auszeichnen sollte. Dichterische Gültigkeit besitzen in diesem «unmöglichen» Roman dagegen die erlebten Szenen, die in «Licht und Schatten» vorgeprägt sind und sich der Form nach nicht von «Ironie» und «Tod im Herzen » unterscheiden, oder die lyrischen Beschwörungen, die mit denen von «Hochzeit des Lichts» verwandt sind. Das beste an diesem Roman ist eben nicht romanhaft.
     
    War sich Camus dessen klar bewußt? Er hat es nirgendwo unmittelbar ausgesprochen, aber es ist sehr wahrscheinlich, daß der Instinkt des Künstlers ihm den Irrtum signalisiert und ihn unwillkürlich auf einen besseren Weg geführt hat. Um uns eines suggestiv-naturalistischen Vergleichs von André Gide zu bedienen: in der Puppe von «Der glückliche Tod» entwickelte sich die Larve von (Der Fremde). «Der glückliche Tod» machte sein «Nymphenstadium» durch. Der Autor bemühte sich, ihn neu zu schreiben und in allen Partien zu beleben, doch «Der Fremde» zog als geistiger Parasit den größten Nutzen aus dieser Arbeit, aus der an Stelle eines in sich unstimmigen Romans schließlich eine wahre Erzählung hervorging.
     
    Ich möchte diese Studie abschließen mit einem kurzen Vergleich zwischen der «Der glückliche Tod» und «Der Fremde» 2 . Roger Quilliot hat gezeigt, daß Meursault, der Protagonist in «Der Fremde», «der jüngere Bruder Mersaults ist». Er hat hervorgehoben, daß bestimmte Episoden und Randfiguren beiden Texten gemeinsam sind; aber er übersieht dabei keineswegs die Unterschiede: «Die beiden Fabeln sind ohne jeden Bezug zuein-
     
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