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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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er sich hin und schlief bis zum Abendessen. Er briet sich Eier, die er gleich aus der Pfanne aß (ohne Brot, da er vergessen hatte, welches zu kaufen), dann legte er sich hin und schlief bis zum nächsten Vormittag. Er wachte erst kurz vor Mittag auf, machte seine Morgentoilette und ging hinunter zum Essen. Wieder zurückgekehrt, löste er zwei Kreuzworträtsel, schnitt sorgfältig eine Reklame für Kruschensalz aus und klebte sie in ein Heft, das schon mit vielen munteren Opas angefüllt war, die Treppengeländer hinunterrutschten. Darauf wusch er sich die Hände und trat auf den Balkon. Es war ein schöner Nachmittag. Das Pflaster glänzte, wenige und noch eilige Leute waren unterwegs. Er folgte jedem einzelnen aufmerksam mit dem Blick und ließ erst von ihm ab, wenn er außer Sehweite war. Dann nahm er einen neuen Passanten aufs Korn. Zuerst kamen Familien, die einen Spaziergang machten, zwei kleine Jungen in Matrosenanzügen mit knielangen Hosen, eingezwängt in ihre steifen Kleidungsstücke, und ein kleines Mädchen mit einer großen rosa Schleife und schwarzen Lackschuhen. Hinter ihnen eine Mutter in braunem Seidenkleid, gleich einem von einer Boa umringelten unförmigen Tier, und ein sehr viel besser aussehender Vater mit einem Spazierstock in der Hand. Etwas später kamen die jungen Leute aus dem Viertel vorbei, mit pomadisiertem Haar und roter Krawatte, stark taillierter Jacke mit einem gestickten Ziertaschentuch und vorn breiten Schuhen. Sie strebten zu den Kinos im Zentrum und beeilten sich laut lachend, um noch die Trambahn zu erwischen. Hinter ihnen leerte sich die Straße allmählich. Die Vorstellungen hatten angefangen. Jetzt gehörte das Viertel den kleinen Ladenbesitzern und den Katzen. Wiewohl noch immer rein, lag der Himmel doch glanzlos über den Feigenbäumen, die die Straße säumten. Gegenüber von Mersaults Fenster stellte der Tabakhändler einen Stuhl vor seine Tür und setzte sich rittlings darauf, beide Arme auf die Lehne stützend. Die Straßenbahnen, eben noch überfüllt, waren jetzt fast leer. In dem kleinen Café Chez Pierrot kehrte der Kellner in dem verödeten Gastraum das Sägemehl zusammen. Mersault drehte ebenfalls seinen Stuhl, stellte ihn so hin wie der Tabakhändler und rauchte hintereinander zwei Zigaretten. Er kehrte in sein Zimmer zurück, brach ein Stück Schokolade ab und nahm kauend wieder seinen Platz am Fenster ein. Kurz darauf verdunkelte sich der Himmel, wurde aber gleich wieder klar. Dennoch hatten die vorüberziehenden Wolken auf der Straße etwas wie eine Verheißung von Regen zurückgelassen, so daß sie noch dunkler wirkte. Um fünf Uhr kamen Trambahnen angerattert, die von den Fußballstadien am Stadtrand Trauben von Zuschauern zurückbrachten, die auf den Trittbrettern und an den Handgriffen hingen. Die nächsten Wagen brachten die Spieler zurück, die an ihren kleinen Reisetaschen zu erkennen waren. Sie brüllten und verkündeten, aus vollem Halse grölend, daß ihr Club nie untergehen werde. Mehrere machten Mersault ein Zeichen. Einer rief: «Die haben wir drangekriegt!» - «Ja », sagte Mersault nur und nickte mit dem Kopf. Allmählich tauchten mehr Autos auf. Bei manchen waren die Kotflügel und die Stoßstangen mit Blumen _ geschmückt. Dann änderte sich abermals das Tageslicht. Über den Dächern bekam der Himmel einen rötlichen Schein. Mit Beginn des Abends belebten die Straßen sich wieder. Die Spaziergänger kehrten zurück. Die Kinder waren müde, weinten oder ließen sich ziehen. In diesem Augenblick ergoß sich aus den Kinos des Viertels ein Strom von Zuschauern auf die Straße. Mersault las aus den entschiedenen und wichtigtuerischen Gesten der jungen Leute, die herauskamen, den unbewußten Kommentar zu dem Abenteuerfilm, den sie gesehen hatten. Die Besucher der Stadtkinos kehrten etwas später zurück. Sie wirkten gesetzter. Zwischen Gelächter und derben Spaßen trat in ihrem Gesichtsausdruck und in ihrer Haltung etwas von der Sehnsucht nach einem Leben in dem glanzvollen Stil zutage, das der Film ihnen vor Augen geführt hatte. Auf und ab gehend bevölkerten sie auch weiterhin die Straße. Auf dem Bürgersteig gegenüber von Mersaults Fenster bildeten sich schließlich zwei Ströme. Die jungen Mädchen des Viertels, ohne Hut, kamen Arm in Arm einher und bildeten den einen. Die jungen Burschen, aus denen der andere bestand, riefen ihnen scherzhafte Bemerkungen zu, über die sie lachten, während sie gleichzeitig die Köpfe abwendeten.

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