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Der glücklose Therapeut - Roman

Der glücklose Therapeut - Roman

Titel: Der glücklose Therapeut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noam Shpancer
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so gelitten hast « , sagte ich.
    » Ich weiß nicht, ob ich gelitten habe « , sagte sie kühl. » Auch das Gute nimmt ein Ende. Und ich will meinen Brief zurück. «
    Ich reichte ihn ihr mit einer steifen Geste. Sie faltete ihn wieder zusammen und steckte ihn in ihre Gesäßtasche.
    » Danke « , sagte sie und ging in die Küche, um aufzuräumen. Ich legte mich im Wohnzimmer auf die Couch.
    Nach einer Weile stand ich auf und ging zu ihr.
    » Wir müssen nicht alles kaputtmachen « , sagte ich. » Manche Menschen verarbeiten so etwas. Paare überwinden es. «
    » Ich weiß es nicht « , sagte sie. Sie schien in Gedanken völlig woanders. » Ich muss hier raus. «

14
    N achdem Alex gegangen war, vergingen meine Tage schleppend, wie Verkehr bei dichtem Nebel. Zu Hause drifteten die Abende an mir vorbei, ohne dass ich eine menschliche Stimme hörte. Wie sich herausstellte, waren mein Fernseher und meine alte Stereoanlage an jenem furchtbaren Abend meiner Wut zum Opfer gefallen. Ich stolperte durch das stille Haus, bleich und schaurig wie ein Geist. Irgendwann begann ich, unterhalb der riesigen Uhr, die wir zu Sams Geburt gekauft hatten, gegen die Wohnzimmerwand zu treten, bis ein hässliches Loch in der Verkleidung klaffte. Vor Jahren hatte sich ein Eichhörnchen zwischen den Wänden verfangen. Es hatte gescharrt und gekämpft und nächtelang unseren Schlaf gestört, bis die Geräusche allmählich schwächer wurden und schließlich erstarben, bis nur noch Gestank übrig blieb und dann die Erinnerung an diesen Gestank.
    Nach Alex’ Weggang hatte ich das Gefühl, das Haus sei in zwei Teile zerschnitten. Die eine Hälfte wurde auf einen Laster geladen und davongefahren, und ich blieb in der anderen zurück, lebte in einem halben Haus, unter einem halben Dach, saß auf einem halben Stuhl, lag in einem halben Bett und fuhr ein halbes Auto. Vielleicht war es auch andersherum – Haus, Stuhl, Bett und Auto blieben intakt, und ich war es, der in zwei Hälften zerschnitten worden war. Nachts rollte ich mich auf meiner Seite des Betts zusammen und ließ Platz für Alex. Morgens wachte ich auf, und der Platz war immer noch leer. Dieser leere Platz in seiner Plötzlichkeit und Endgültigkeit erschütterte mich. Ihre Hälfte des Bettes hatte sich in meinen Gedanken in ein offenes Grab verwandelt. Ich traute mich nicht in seine Nähe.
    In dieser Zeit lief vor meinem inneren Auge nicht etwa im Schnelldurchlauf unser gemeinsames Leben ab, wie es angeblich im Moment vor dem Tod geschieht. Ich hatte keinen »Moment davor«. Wie die toten Bewohner Pompejis, die wir auf unserer Italienreise gesehen hatten, die unter einer Lawine aus Vulkanasche begraben und darunter allezeit in der Haltung ihres Todes erstarrt waren – die Hände über den Kopf geworfen, mit aufgerissenem Mund nach Luft schnappend, die immer knapper wurde –, so hatte sich ein Bild in mein Gehirn eingeprägt. Dabei handelte es sich nicht einmal um ein Bild, das ich tatsächlich gesehen hatte. Es war nicht das Bild von Alex’ Gesicht, als sie vom Toilettensitz zu mir aufsah; nicht das Bild unserer Küche voller Glas- und Kristallscherben. Nicht das Bild des orangefarbenen Tiefladers, der ein paar Tage später ihre Besitztümer abtransportierte. Das Bild, das sich in meinen Gedanken einnistete, war eine Halluzination, die bittere Frucht meiner eigenen Phantasie: die Vorstellung, wie Alex bäuchlings, mit geschlossenen Augen und vor Schmerzlust und Lustschmerz verzerrtem Gesicht, ausgestreckt auf einem fremden Bett lag.
    John Savoia, mit dem ich mich ein paar Tage nach Alex’ Auszug im Blind Mule Bistro traf, hörte mir aufmerksam – oder höflich, das konnte man bei ihm nie so genau sagen – zu und sagte schließlich: » Tja. So ungern ich das sage, aber ich glaube, mit diesem Zwischenfall bist du von sonnenbeschienenen Rebgefilden in die dunkleren Bereiche des Hochprozentigen übergegangen, dessen Genuss einem weder Stil noch Anmut abverlangt und der deshalb haargenau zu deinem existentiellen Modus Operandi passt, wenn ich ganz offen sein will. «
    » Reden wir wieder über Wein? Bitte sag mir, dass wir nicht schon wieder über Wein reden, John. «
    » Nein, nein. Nur ein paar einleitende Worte, nicht mehr. « Er wirkte vage gekränkt.
    Wir saßen da und schwiegen.
    John nippte an seinem Wein und nickte. » Es gibt diesen Mythos, die Ehe sei die Domäne der Frau. Die Frau will heiraten, versucht, einen Mann in die Falle zu locken und ihn zum Altar zu lotsen, und

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