Der Gluecksmacher
Nervenkostüm war, Atemübungen hin oder her, angespannt bis zum Äußersten. Irgendwann einmal brauchte es nur noch eine wortgewaltige Unterhaltung zweier grobschlächtiger Monteure, und Dimsch griff, seiner selbst nicht mehr Herr und wie in Trance handelnd, zum Telefon. Als Irene Großburg abhob, vernahm sie eine nach Atem ringende Person männlichen Geschlechts. Erst nach zwei, drei Sekunden erkannte Großburg, es war Dimsch.
»Irene, liebe Irene. Ich kann bei diesem Krach nicht arbeiten. Es geht einfach nicht mehr!«, schrie er. »Hörst du mich?! Hörst du mich überhaupt?«
»Ja, ich höre dich, Sebastian, ich höre dich sehr gut. Abgesehen von deinem Geschrei ist es absolut ruhig.«
Dimsch blickte auf. Tatsächlich. Völlig ruhig. Völlig. Sakrament auch noch mal!
»Ja, aber das ist eine Ausnahme, Irene. Sonst ist hier unten die Hölle los. Wirklich. Die Hölle! Man versteht sein eigenes Wort nicht mehr!«
»Sebastian. Noch einmal, du brauchst nicht so zu schreien, ich höre dich sehr, sehr gut.«
»Ja. Ja, okay.«
»Beruhige dich, die Arbeiten dauern nur noch eine Woche.«
»Eine Woche. Aha. Gut. Gut, eine Woche …«
Dimsch schien aufgelegt zu haben, ohne Resümee, ohne Gruß, ansatzlos. Großburg hielt noch immer den Hörer in der Hand, prüfte in Gedanken die Möglichkeit, dass Dimsch übergeschnappt war, und überlegte, ob das für die geplante Kündigung nun förderlich oder hinderlich wäre, von wegen Arbeitsrecht, Mitarbeiterschutz und dergleichen.
Vermutlich einerlei. Sie legte den Hörer auf.
Eine Woche später waren die Handwerker tatsächlich beinahe fertig. Gegen Ende hatte auch der Lärm nachgelassen. Letztes Mobiliar und Computer wurden geliefert, Türschilder angebracht. Rundum erneuert war das Stockwerk nun, wirkte mit einem Mal hell und freundlich, die Büros einladend, modern ausgestattet. Nur in der Mitte des Traktes schlummerten, dicht an dicht, noch immer drei Zimmerchen im Dornröschenschlaf. Deren ehemals mutmaßlich weiß gestrichenen Wände zeigten ein Gemenge aus rauchigem Grau und mattem Gelb. Die Filzböden, schäbig genug, waren abgetreten, durchgewetzt. Und selbst die Einrichtung verströmte den Charme von andernorts Ausrangiertem; Tische, Registrierschränke, Computer, Telefone – alles wirkte wie ein kurioses Sammelsurium vergangener Epochen.
Dimsch saß inmitten dieses Ensembles. Seit Minuten starrteer an die Decke. Sie war mit Styroporquadern getäfelt, und Dimsch erwog allen Ernstes, die dunklen Einbuchtungen zu zählen, mit denen jede Platte übersät war. Trotz des gesunkenen Geräuschpegels war es ihm noch nicht gelungen, zur Arbeit zurückzufinden. Versucht hatte er es, gewiss, doch kaum schlug er ein Buch auf, überkam ihn das verstörende Gefühl, jemand könnte hereinplatzen und ihn beim Lesen überraschen. Das Büro zuzusperren getraute er sich nicht. Was hätte das für einen Eindruck gemacht? Dimsch fuhr sich durchs Haar, rieb an seiner Nase, war derart außer sich, dass er sogar daran dachte, seine gewöhnliche Tätigkeit wieder aufzunehmen und Statistiken für die Versicherung zu analysieren. Er musste lediglich nach einem Ordner greifen und ansatzweise darin blättern, um zu bemerken, wie albern es gewesen wäre. Nein, befand er, derart verzweifelt und durch den Wind, dass er sich in Versicherungsarbeiten flüchten musste, war er nun auch wieder nicht. Erneut blickte er nach oben zur Decke, zur Styroporplatte über ihm.
Die vergangenen Tage hatte Dimsch vorwiegend damit zugebracht, sich als Seelsorger für die Kolleginnen und Kollegen zu betätigen. Darauf hatte er wieder mehr Kraft verwendet, denn an konzentriertes Lesen war ohnehin nicht zu denken gewesen. Seine Antworten auf eingehende E-Mails waren daher geradezu wortreich ausgefallen. Und einige Male war es tatsächlich passiert, dass er ausgiebig telefoniert hatte. Freilich nicht in beruflichen Angelegenheiten, ausschließlich privaten Inhalts waren die Gespräche. Längst nämlich hatte es sich in der Versicherung herumgesprochen, dass Dimsch, Sebastian Dimsch, auf alle Fragen eine nutzbringende, geradezu philosophische Antwort wusste, für sämtliche Verzwicktheiten eine lebenspraktische Lösung parat hatte und es generell verstand,Hoffnung zu geben, wo gerade eben noch nichts gewesen war als rabenschwarze Ausweglosigkeit. Erstaunlich vielen war Dimsch auf diese Art buchstäblich zum Befreier geworden.
Und dann kam der Himmel auch über ihn. Unversehens begann der Tag, den er
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