Der Gluecksmacher
eine vage Empfindung, eine kleine Aufregung im Kopf.
Als Dimsch an diesem Abend nach Hause ging, zu seiner Frau und seinen beiden Kleinen, plagte ihn sein Gewissen. Was absurd war, völlig absurd, es gab ja keinen Grund dazu. Nichts, rein gar nichts hatte er sich vorzuwerfen, im Gegenteil,sogar davongerannt war er vor dieser Frau. Freilich, einholen hatte er sich schon lassen.
Und da war dann auch noch dieses Kribbeln und die Zerstreutheit, die den ganzen Tag über angehalten hatte. Beinahe schämte sich Dimsch wegen dieses kleinen Glücks. Seine Scham schien das Glück zu verunsichern, womöglich hatte er es damit sogar beleidigt, denn mit einem Mal zog es sich zurück, verschwand im Schatten von Vernunft und Moral. Doch tauchte es wieder auf, sobald Dimsch unaufmerksam war, sich in Gedanken verlor, sich in Phantasien wiederfand.
Gab es anständiges und verbotenes Glück? Zwei Arten, glücklich zu sein? Mit Moral-Zertifikat und ohne? Epikur, fand Dimsch, war in diesem Punkt bemerkenswert pragmatisch. Unumwunden gab er zu, dass der Mensch bei nichts anderem mehr Freude empfinde als bei körperlicher Lust und ihrer Erwartung. Allerdings solle sich jeder fragen, riet der Spielverderber, ob der kurzfristige Lustgewinn das große und letztlich entscheidende Glück nicht störe oder gar gefährde.
Als es am nächsten Tag an seiner Bürotür klopfte, spürte Dimsch, dass sie es war. Ein wohliges Aufschrecken war es, welches ihn wie selbstverständlich wissen ließ, dass sie es war. Die Tür öffnete sich … und Peng trat ein. Grinsend, die Post unterm Arm.
»Seit wann klopfst du?« Dimsch schrie die Frage beinahe. »Willst du mich erschrecken?«
»Nu Spaß. Nu Spaß. Hallo, Dogdor!«
»Wieso bist du so gut drauf, Professor Peng?« Es klang wie ein Vorwurf.
»Nu so, einfach so.« Peng kicherte, schob den Kopf gegen die Schulter wie ein verlegenes Kind. Jetzt erst sah Dimsch, seitlich hinter ihm stand Eva Fischer.
Dimsch gaffte. Zwei, vielleicht drei Sekunden brachte er kein Wort hervor. Und dann, gerade noch rasch genug, lachte er. »Peng, du Spaßvogel!«
Er fühlte sich wie jemand, der einen Witz viel zu spät kapiert hatte, verhielt sich wie jemand, dem gesagt worden war, dass er eben von einer versteckten Kamera gefilmt worden sei, wirkte wie jemand, der angestrengt zu retten versuchte, was nicht mehr zu retten war.
»Also Peng. Das nächste Mal, um Himmels willen, komm bitte wie immer ohne Klopfen ins Zimmer. Du erschreckst mich mit deiner neuen Höflichkeit sonst zu Tode.«
»Okay, okay.« Peng drehte ab, glucksend vor Heiterkeit.
»Jetzt habe ich also gleich den Hausbrauch kennengelernt: niemals klopfen.« Sie lächelte und in ihren Wangen entstanden Grübchen. »Darf ich mich bei dieser Gelegenheit bei Ihnen vorstellen?« Sie kam näher. »Mein Name ist Eva Fischer.«
Eva Fischer war Eigentümerin, Chefin und, abgesehen von ihrer Sekretärin, die einzige Angestellte des Unternehmens. Die übrigen freien Mitarbeiter waren Psychologiestudenten.
Know-yourself-Services
hieß ihre Firma, führte für Auftraggeber Umfragen in deren eigenen Unternehmen durch.
»Auf Basis der Umfragen erstellen wir ein Stärken-Schwächen-Profil, eruieren brachliegende Ressourcen, führen eine Motivationsanalyse durch und küssen Ideen der Mitarbeiter wach, die ohne uns nie verwirklicht würden.«
Dimsch hatte nicht viel verstanden. Die ganze Zeit, während sie gesprochen hatte, konnte er nicht anders, als ihren appetitlichen Mund zu beobachten, ihre Grübchen und ihre Lippen, die hin und wieder von der Zungenspitze angeschubst wurden. Dieses Schauspiel nahm Dimschs gesamte Konzentrationgefangen. Darüber hinaus zu erfassen, was sie sagte, war ihm unmöglich. Lediglich bei einzelnen ihrer Worte tat sich sein Bewusstsein kurz auf, wie blitzendes Himmelblau inmitten von vorbeiziehenden Wolken. Eines dieser Worte – Dimsch hätte es schwören können – war
küssen
gewesen. Ja, dieses Wörtchen hatte sie im Mund geführt.
»Interessant, wirklich interessant«, sagte Dimsch, als er bemerkte, dass sich ihre Lippen nicht mehr bewegten.
»Viel zu viele Unternehmen führen ihre internen Umfragen ja selbst durch«, ergänzte Eva Fischer. »Freilich meist ohne die nötige Fachkompetenz und alles andere als objektiv. Die Resultate sind dann für den Papierkorb. Aber hier in der Secur AG haben Sie diesbezüglich ja eine professionell denkende Führung.«
»Ja. Ja genau«, hörte Dimsch sich sagen, »Frau Großburg ist
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